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von Jochen Esser im Abgeordnetenhaus von Berlin – 16. Wahlperiode, 16. Sitzung - 12. Juli 2007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wenn ich Sie höre, hätte ich Lust, mich auf den Hinweis zu beschränken, dass mir die landeseigene Bank seit dem Jahr 2001 so viel Kraft, Zeit und Nerven geraubt hat, dass ich über ihren Verkauf froh bin.

[Heiterkeit bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Aber im Ernst: Frau Kolat, das ist hier heute keine Feierstunde, sondern der vorläufige Abschluss eines strukturierten Insolvenzverfahrens bei Fortführung der Bank, das seit dem Jahr 2002 unter der Oberaufsicht der EU abgewickelt wird. Da können Sie sich den Sanierungsprozess nicht auf die Fahnen schreiben. Damit kann sich keiner rühmen. Das war der Vollzug einer Auflage unter Androhung, die Beihilfe zurückzahlen zu müssen. Das mussten wir machen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Wenn man ehrlich ist, muss Berlin – nicht nur Herr Landowsky – bereits seit fünf Jahren ohne dieses zur Korruption neigende System Landesbank auskommen. Wir beweisen – ich hoffe, wir tun es auch in Zukunft –, dass man Politik auch ohne dieses Instrument machen kann – dieses Instrument, das dazu geeignet ist, Regierungswünsche am Haushalt, am Parlament und allem demokratischen Gremien vorbei zu erfüllen.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt geht erst die erste Halbzeit des Insolvenzverfahren vorbei, Herr Wechselberg. Das ist noch nicht der Schluss. Das Zwischenresultat ist alles andere als erhebend. Es schließt nämlich mit Verlusten in Höhe von 5,2 Milliarden € für das Land Berlin ab: 2,3 Milliarden € Eigenkapitalausstattung vom Ende des Jahres 1994 – wobei ich die eine Milliarde, die wir bekommen haben, bereits abgezogen habe –, 1,8 Milliarden € Kapitalerhöhung aus dem Jahr 2001 und – das haben Sie vergessen – 1,1 Milliarden € Zinserlass aus dem Jahr 2005. Die sind heute nachweislich und unumkehrbar verloren, denn die 4,6 Milliarden € Verkaufserlös stehen unstrittig nicht mehr zur Minderung der Verluste zur Verfügung, sondern sie werden für die Kosten der Risikoabschirmung Gebraucht, die in der zweiten Halbzeit des Insolvenzverfahrens auf uns zukommen. Strittig ist bloß, ob wir noch eine oder zwei Milliarden € drauflegen müssen. – Ich werde die Debatte heute nicht wiederholen. – Fest steht: Ob es bei 5 Milliarden € bleibt oder sich der Gesamtverlust letztlich auf 6 oder 7 Milliarden € beläuft, es ist und bleibt eine Vernichtung von Volksvermögen, die die Berlinerinnen und Berliner zu Recht erbost, und es ist ein politischer Skandal.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Klaus-Peter von Lüdeke (FDP)]

Die Form der Insolvenzabwicklung der Bankgesellschaft mag ungewöhnlich sein, aber der wirtschaftliche Inhalt dessen, was wir hier heute machen, ist leicht zu erkennen, und zwar dann, wenn wir uns die simple Frage stellen, was passieren würde, wenn das Abgeordnetenhaus sich weigern würde, die LBB zu verkaufen. Dann würde zum Jahresende die Genehmigung der EU für die Sanierungsbeihilfe des Landes in Höhe von neun Milliarden € obsolet. Die EU-Kommission würde die LBB auffordern, die Beihilfe nebst Zinsen an das Land zurückzuzahlen: 1,8 Milliarden € für die Kapitalspritze, 1,1 Milliarden € für den Zinsnachlass und – so hat die EU gerechnet – 6,1 Milliarden € für die Risikoabschirmung. Damit wäre die LBB sofort wieder überschuldet, und alles wäre wieder wie am Anfang. Wir wären in der gleichen schrecklichen Situation wie Ostern 2002. Das Abgeordnetenhaus kann demnach heute gar nicht anders, als den Schlussstein des Sanierungsprogramms zu setzen, das uns die EU auferlegt hat. Insofern ist der Verkauf der LBB keine glorreiche, freie Entscheidung eines Parlaments, sondern die schlichte Einsicht in die Notwendigkeit.

[Beifall bei den Grünen]

Freiheit – liebe Leute auf der linken Seite, falls euch das Zitat von Friedrich Engels gefreut hat – sieht anders aus.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Die Entscheidungen, die bis heute wirksam sind, wurden in den Jahren 1994 bis 2002 getroffen und stellen im Rückblick – das kann keiner leugnen – eine Chronik von Filz, Parteibuchwirtschaft und Korruption dar. In einem Bankkonzern, in dem das Land Berlin den beherrschenden Einfluss ausübte, war dem politischen Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Ich würde an Ihrer Stelle auch anderen Staatsunternehmen mit mehr Misstrauen begegnen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Kapitalentnahmen zugunsten des Haushalts schon bei der Gründung, Gefälligkeitsfinanzierung öffentlicher Projekte – wir lasen das gerade wieder bezüglich des Lausitzrings – und befreundeter Unternehmen, Verlagerung von Schrottimmobilien des Landes in die Fonds und von chronisch defizitären Landesunternehmen wie der GSG und der KPM in die Bank kennzeichneten das Bild von Anfang an. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs gab es kein Geschäftsfeld, das keine roten Zahlen schrieb.

[Von der Zuhörertribüne werden Flugblätter geworfen.]

Die Bank hat eine Kostenstruktur entwickelt – damit ging es auch der Belegschaft gut –, die es nicht einmal zuließ, ein Girokonto kostendeckend zu führen.

Präsident Walter Momper:

Herr Kollege Esser! Entschuldigen Sie die Unterbrechung! – Es gibt Störungen von der Zuschauerbank. Ich bitte, das zu unterlassen und den Störer zu entfernen! – Fahren Sie bitte fort!

Joachim Esser (Grüne):

Geändert hat sich das alles erst, als die EU der Bank ein umfassendes Programm zur Entflechtung und Sanierung verordnet hat.

Präsident Walter Momper:

Entschuldigen Sie, Herr Esser! Ich muss Sie noch einmal unterbrechen. – Ich bitte den Fotografen, keine Fotos von den Tischen der Abgeordneten zu machen! – Fahren Sie bitte fort!

Joachim Esser (Grüne):

Dass dieses Programm buchstabengetreu abgearbeitet wurde bzw. werden musste, braucht sich keiner als eigene politische Leistung auf die Fahnen zu schreiben. Auch das war Vollzug einer unhintergehbaren Notwendigkeit.

In besonderer Weise hat sich die politische Instrumentalisierung der Bank im sogenannten System Landowsky verdichtet. Das Abgeordnetenhaus – das war dieses Haus – erlaubte dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, zugleich Abgeordneter und Direktor der landeseigenen Bank zu sein, und zusätzlich wählte es ihn auch noch in den Lottobeirat. Das ist ein Vorgang, der auch noch heute unglaublich anmutet, denn wer sich an Landowsky wandte, sprach mit einer Person, die zugleich Parlamentsbeschlüsse herbeiführen, Haushaltsmittel bereitstellen, Lottogelder bewilligen und Bankkredite gewähren konnte. Das Wort vom "Paten" fiel da nicht von ungefähr.

Es nützt dann aber wenig, nur Personen auszuwechseln, wenn man nicht zugleich die Strukturen verändert. Gelegenheit macht Diebe, sagt man zu Recht, und der Instrumentenkasten des Herrn Landowsky besteht bis zu diesem Augenblick noch unverändert fort. Es könnte immer noch jemand anderes kommen, der sich von den Möglichkeiten dieses Kastens verführen ließe, und ich sage Ihnen deutlich: Ein roter Zar wäre genauso schlecht wie ein schwarzer Pate.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ja! Auch Herr Wechselberg hat sich dazu – weil Sie Sagen: Alles verkaufen! – hinreißen lassen: Erst mit dem Verkauf der Landesbank bricht diesem System der Stützpfeiler weg, der am wichtigsten und am wenigsten zu kontrollieren war.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Na, super!]

Das ist das Beste, was man über den heutigen Tag sagen kann.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir werden deswegen Ihrem Antrag zustimmen.

[He! von der SPD – Zuruf von Marion Seelig (Linksfraktion)]

Aber ich möchte nicht versäumen, auf zwei bittere Pillen hinzuweisen, die uns dabei verabreicht werden. Uns allen! Erstens – das wurde erwähnt und ist keine Kleinigkeit –: Mit über den Tisch geht eine Kunstsammlung von 2 700 Bildern, weil der Senat diese als einen Vermögensgegenstand behandelt hat, anstatt sie als ein Kulturgut zu sehen, das für Berlin zu sichern ist und zwischen 2002 und heute leicht hätte gesichert werden können, wenn man sie z. B. rechtzeitig in die Stiftung Brandenburger Tor verlagert hätte.

[Beifall bei den Grünen]

Weil Sie so große Freunde der Gemeinnützigkeit sind, gehe ich davon aus, dass diese Kunstsammlung der Bankgesellschaft etwas Ähnliches an gemeinnütziger Pro-bono-Leistung für Berlin war wie die Förderung des Feuerwehrballs in Kleinkleckersdorf durch die dortige örtliche Sparkasse. Dass man jetzt sagt, das sei ein Asset und gehe mit hinüber, und dass der neue Besitzer damit möglicherweise einen schönen Gewinn macht – eine Spekulation auf dem Kunstmarkt kann sehr viel bringen –, ist ein wirkliches Problem.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Es kommt noch das Bubenstück hinzu, das Sie, meine Damen und Herren von SPD und PDS, sich mit dem Beschlüsse geleistet haben, es solle einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über Arbeitsplatzgarantie für die Mitarbeiter, Unternehmenssitz in Berlin, Girokonto für alle und gesicherte Präsenz in der Fläche geben. Und nun?

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Kommt doch alles!]

Schauen Sie in den Vertrag! Keine Ihrer Verkaufsbedingungen ist erfüllt. Einen Beleihungsvertrag gibt es nicht. Wir haben Ihnen damals schon gesagt, dass Ihr Beschluss pure Augenwischerei ist. Heute stellt sich heraus – denn 50 Fragen haben doch einen Grund –, dass Sie sich noch nicht einmal hinter der EU-Kommission verstecken Können. Der Brief von Frau Kroes, den wir seit heute kennen, moniert an Ihrem Beschluss nachweislich nur die Punkte Beschäftigungsgarantie und Festlegung des Unternehmenssitzes auf Berlin. Davon, dass ein Konto für jedermann verboten wäre, ist darin nicht die Rede.

[Beifall bei den Grünen – Stefan Liebich (Linksfraktion): Das gibt es ja!]

Mein letzter Satz, Herr Präsident! Danke für die Großzügigkeit! – Der Weg – das haben wir immer gesagt – geht nur über die Reform dieses Knochengespenstes von Sparkassengesetz, das Sie nach sechs Jahren rot-roter Regierung unverändert haben. Zweimal haben Sie unsere Änderungsvorschläge abgelehnt. Wir werden Ihnen in den nächsten Monaten erneut mit einem Änderungsantrag kommen.

[Oh! von der Linksfraktion]

Dann werden Sie sich hinter keinem Verkaufsverfahren und hinter keiner EU-Kommission mehr verstecken Können. Dann werden Sie sagen müssen, ob Sie über dieses Sparkassengesetz sparkassentypische Leistungen verschärfen und z. B. den Sparkassen ein Konto für jedermann in Berlin gesetzlich auferlegen werden oder nicht.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Gibt es doch!]

Ohne jede Ausflucht, Herr Albers! – Darauf bin ich gespannt.

[Beifall bei den Grünen]

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