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 von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 10. Mai 2007 - Wachstum/Nachhaltigkeit/Haushalt/Verschuldung

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren 
erinnern sie sich noch: Vor ein paar Monaten verflüchtigte sich nach der Niederlage in Karlsruhe der Traum von bis zu 1,8 Milliarden Euro Zinsentlastung durch Teilentschuldung. Damals war die äußerst unkluge Reaktion auf der Senatsbank: Heulen, Zähneklappern und Trotz. 

Und heute? Da reiben wir uns die Augen, weil die Einnahmeentwicklung die einst erflehten 1,8 Mrd. kompensiert. Morgen wird die Steuerschätzung ergeben, dass Berlin dieses Jahr mindestens 2 Milliarden Euro mehr in der Kasse haben wird als zur Zeit im Haushalt noch veranschlagt. Die Entschuldungshilfe kommt jetzt - anders als gedacht – von der Steuerseite. Und die Ursache sind wachsende Einnahmen in Folge des Wirtschaftswachstums. 

Die Wirkung dieses Wachstums erweist sich als viel dynamischer und durchschlagender als jede Ausgabenkürzung. Und man sieht daran, wie sehr jene Recht hatten, die gegen das verkürzte Motto „Sparen, dass es quietscht“ immer darauf bestanden haben, dass die Sanierung des Haushalts nur in Ausgaben und Einnahmen erfolgen kann. 

Und es bestätigt sich sehr eindrucksvoll die Quintessenz des Berichts der Enquete-Kommission „Eine Zukunft für Berlin“, dass es nicht nur darauf ankommt, den Haushalt – gewissermaßen technisch – auf die Reihe zu bekommen, sondern dass es darum geht, die Stadt als Ganzes zu sanieren und auf eigene Füße zu stellen. Bis jetzt erntet der Senat ja nur unverdiente „windfall-profits“ der Bundentwicklung. Was aber immer noch fehlt, ist der Berliner Eigenbeitrag! Und genau hier setzt unser Vorschlag an. 

Vordergründig geht es nur um eine weitere Seite in den Übersichten des Haushaltsplan, die sich rein technisch mühelos erstellen lässt. Tatsächlich geht es aber darum, der Haushaltspolitik ein Instrument bereit zu stellen, dass Weichenstellungen ermöglicht, um den Haushalt auf Stärkung der Wirtschaftskraft und nachhaltige Stadtentwicklung auszurichten. 

Wir wollen, dass bei der unverändert notwendigen Haushaltskonsolidierung der Rasenmäher aus der Hand gelegt wird, und sich Senat und Abgeordnetenhaus Rechenschaft darüber ablegen, wo der Rotstift anzusetzen ist und wo nicht. 

Wir wollen, dass sich Senat und Abgeordnetenhaus der Mühe unterziehen zu definieren, was die in Sonntagsreden gerne beschworenen Zukunftsinvestitionen eigentlich sind. 

Wir wollen, dass die Rede von den Zukunftsinvestitionen aus den luftigen Höhen politischer Grundsatzprogramme in die praktischen Niederungen der Haushaltspolitik heruntergeholt wird. 

Die bisherige Antwort des Haushaltsrechts auf die Frage, was eine Zukunftsinvestition sei, lautet schlicht – viel zu schlicht: Das sind investive Ausgaben der Hauptgruppe 7 und 8. Dabei ist sich die wissenschaftliche Diskussion zur Nachhaltigkeit von Haushaltspolitik ist sich längst darin einig, dass die Investitionen der Hauptgruppen 7 und 8 kein Kriterium für die Zukunftsfähigkeit eines Haushalts darstellen. 

Demgegenüber ist das Konzept eines Budgets Wachstums- und Nachhaltiger Ausgaben (WNA), das aus einem Gutachten für das Bundesfinanzministerium hervorgegangen ist, ein bedeutender Forstschritt. Das Gutachten hat untersucht, welche Ausgaben des Haushalts als Zukunftsinvestitionen betrachtet werden können und hat dabei drei Bereiche als besonders relevant identifiziert:  

  1. Erhalt von Infrastruktur und Umwelt.
  2. Investitionen in Humankapital. Vorschulische Erziehung, Schulbildung, Berufsausbildung, Weiterqualifizierung und Universitäten bilden im föderalen System folglich den Kern eines WNA-Budgets auf Länderebene
  3. Das Gesundheitswesen, weil ein guter Gesundheitsstand der Bevölkerung nicht nur Teil der Investitionen in das Humankapital ist, sondern auch einen starken Impuls für das wirtschaftliche Wachstum darstellt.

Die Enquete-Kommission „Eine Zukunft für Berlin“ fand das Konzept so überzeugend, dass sie dem Abgeordnetenhaus seine Anwendung empfohlen hat. Ich finde, dass Abgeordnetenhaus sollte dieser Empfehlung endlich nachkommen! 

Der Einwand, dass der vorliegende Vorschlag im Rahmen der Kameralistik bleibt und damit suggeriert, viel Geld bringe auch viel Erfolg, trägt in diesem Zusammenhang nicht weit. Das Argument ist zwar richtig. Aber es ist ein Argument gegen den kameralistischen Haushaltsplan als Ganzes. Das von uns vorgeschlagene WNA Budget passt sich ja nur notgedrungen in die allgemeine Haushaltssystematik ein. Und umgekehrt gilt: Je produktorientierter der Haushalt wird, um so ergebnisorientierter wird auch das WNA-Budget! 

Ich gestehe offen, ich habe allmählich die Nase voll von diesen Ausflüchten. Irgendwann, werte Kolleginnen und Kollegen, muss ja mal der Anfang gesetzt werden. Dass sich das Konzept Zug um Zug verändern und verfeinern lässt, liegt doch auf der Hand, und soll an uns gewiss nicht scheitern. Wir bitten Sie deshalb, geben Sie sich einen Ruck, damit der erforderliche Prozess endlich in Gang kommt.

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