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von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 17. Sitzung vom 13. September 2007, Nachtragshaushalt 2007

Herr Präsident, meine Damen und Herren
Eine schwarze Null ist für Finanzer immer schön. Aber man sollte sich deswegen auch nicht besoffen reden. Sie kommt im Augenblick nur durch den Verzehr von Volksvermögen zu Stande. Ein nachhaltig ausgeglichener Haushalt, in dem die laufenden Einnahmen die Ausgaben decken, ist frühestens für 2010 in Sicht.

Mich stört dabei besonders, dass der Senat 1,1 Milliarden Euro aus der Stillen Einlage des Landes in der LBB für laufende Ausgaben verbrät, bloß um die Schlagzeile von der schwarzen Null zu produzieren. Wenn diese Milliarde morgen zur Deckung der Risikoabschirmungskosten fehlt, dann ist der Preis für den Haushaltsausgleich von heute eindeutig zu hoch.

Sowieso ist ein Staatshaushalt mehr als der Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben. Er ist in Zahlen gegossene Politik. Und deswegen darf man ja mal fragen, welche Politik eigentlich hinter den drei Haushaltsentwürfen – für 2007, 2008 und 2009 -  steht, die uns der rot-rote Senat heute vorlegt.

Der französische Präsident Sarkozy hat kürzlich in einer Grundsatzrede gesagt, es sei Aufgabe der Politik, den spontanen Lauf der Dinge zu ändern.

Ich weiß nicht, welches Verständnis von Politik Sie haben, Herr Wowereit. Aber wenn ich mir Ihren Haushaltsentwurf ansehe, komme ich zu dem Schluss, dass Ihr Begriff von Politik mit Veränderung nur wenig zu tun haben kann.

Die Politik- und Kostenstrukturen bleiben wie sie waren, und die in der Folge eingehenden Rechnungen werden schlicht bezahlt. Von Ihnen selbst gewählte Schwerpunkte der Zukunftsgestaltung sind nicht zu erkennen. Und Sie verzichten völlig auf Strukturreformen, die zu Einsparungen oder Umschichtungspotential für Finanzierungsschwerpunkte führen könnten, die diesen Namen auch verdienen

Mit einem Satz: Dieser Haushalt ist eine politikfreie Zone!

Dabei sind die großen Herausforderungen, vor denen unsere Stadt steht, doch unübersehbar.

Wir stehen erstens vor der Herausforderung, unsere Anstrengungen in Sachen Internationalität, Wissenschaft, Kultur und Bildung zu vervielfachen, um in der Globalisierung zu bestehen und die nach wie vor skandalös hohe Arbeitslosigkeit in der Stadt zurückzudrängen.

Und wir stehen zweitens vor der Herausforderung, der fortschreitenden Zerstörung unserer Umwelt zu begegnen. Wir müssen unseren Beitrag dazu zu leisten, einer möglichen Klimakatastrophe zu entgehen. Das ist zwar eine Aufgabe, die nur weltweit gemeistert werden kann, aber die Verantwortung die dabei auf einer Metropole unserer Größenordnung lastet, ist alles andere als gering.

Was aber findet sich davon in Ihrem Haushalt wieder?

Zum Klimaschutz findet sich gar nichts. Da gibt es - wie schon jahrelang gehabt - ein bisschen Umweltentlastungsprogramm, finanziert von der EU, und das ein oder andere Contracting zur Energieeinsparung, vorfinanziert von den privaten Partnern.

Eine große eigene Anstrengung sucht man jedoch vergebens. Es ist, als seien all die weltweit geführten intensiven Diskussionen um die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu senken und den Ausstoß von CO2 drastisch zu mindern, am Berliner Senat spurlos vorübergegangen.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch in Berlin gibt es Zeitungen, Radio und Fernsehen. Irgendwo müssten doch auch Sie mitbekommen haben, was die Bundesregierung den privaten Hausbesitzern abzuverlangen gedenkt und längst im eigenen Gebäudebestand des Bundes auf den Weg gebracht hat. 

Es ist doch nicht zuviel verlangt, dass Sie da mitmachen und die überfälligen Investitionen in den öffentlichen Gebäudebestand tätigen, in Wärmedämmung, moderne Heizungsanlagen, dezentrale Energieversorgung und anderes mehr.

Der Landeshaushalt würde es uns obendrein danken, in Form drastisch sinkender Betriebskosten. Warum sollen wir die Steuergelder eigentlich zu Vattenfall tragen. Die lassen sich nun wahrlich besser verwenden.

Wir Grüne schlagen Ihnen deshalb vor, in den kommenden Jahren einen Investitionsfonds für Klimaschutz aufzubauen, der sich aus den Einsparungen bei den Betriebskosten refinanziert.

Nun reklamieren Sie seit Monaten für sich, sie hätten aber politische Schwerpunkte bei Bildung, Wissenschaft und Forschung gesetzt. Mal sehen, was es damit auf sich hat. Drei Beispiele will ich aufgreifen.

„22 Millionen Euro für die Gemeinschaftsschule.“ Mit dieser Meldung geht der kleinere Koalitionspartner seit der Senatsbildung hausieren. Die einen hoffen deswegen auf eine grundlegende Reform des Schulsystems und die anderen befürchten einen Anschlag auf das gute alte Gymnasium

Ein Blick in den Haushaltsplan zeigt: Von der Wirklichkeit werden beide Sichtweisen nicht gedeckt.

Die 22 Millionen Euro sind eine kumulierte Zahl über 4 Jahre, macht 5,5 Millionen Euro im Schnitt pro Jahr. Bei einem Schuletat von 1,7 Milliarden Euro jährlich sind das 0,3 Prozent, die für die Gemeinschaftsschule reserviert sind.

Das ist nicht gerade ein Betrag, mit dem sich das Schulsystem aus den Angeln heben lässt.

Zumal sich das Projekt Gemeinschaftsschule ironischerweise zu einem Modellprojekt für die Zweigliedrigkeit des Schulsystems entwickelt hat, nachdem klar ist, dass sich kein Gymnasium an dem Projekt beteiligen wird.

Der Klassenkampf gegen das Gymnasium fällt also schlicht ins Wasser, weswegen ich vorschlage, dass sich auch CDU und FDP beruhigen und mit dem Projekt ihren Frieden machen. Denn für die Linkspartei gilt längst: Veränderung beginnt mit Opposition und in der Regierung hört sie dann auf.

Sieht es beim größeren Koalitionspartner besser aus?

Der Schulsenator hat viel mehr Geld zur Verfügung als die Linkspartei und verspricht uns dafür vor allem „die hundertprozentige Unterrichtsversorgung“. Seit Monaten hält er uns mit der Frage in Atem, ob sie erreicht wird, wie sie erreicht wird und wann sie erreicht wird. Fast jede Woche gibt es neue Wendungen.

Wie auch immer Herr Zöllner, Ihr Versprechen steht. Daran werden Sie gemessen werden. Die damit verbundenen Konflikte müssen Sie durchstehen, falls Ihr Ruf als Supersenator nicht schon bei der ersten Kraftprobe ruiniert werden soll.

Aber mal angenommen, Sie, der Senat, Ihre Verwaltung und das Parlament, - kurzum wir alle - kriegen es am Ende zusammen hin, dass den Schülerinnen und Schülern in Berlin tatsächlich garantiert werden kann, dass sie gemäß der Stundentafel unterrichtet werden. Hätten wir dann, eine pädagogische Vision verwirklicht?

Wohl kaum, wir hätten nur unsere Pflicht getan. Der Schulpflicht der Schülerinnen und Schüler steht doch wohl die Pflicht des Staates gegenüber, Unterricht anzubieten und nicht ausfallen zu lassen. Wenn der Schüler kein Recht auf Schwänzen hat, dann hat der Senat auch kein Recht auf Unterrichtsausfall.

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf den katastrophalen Zustand der Berliner Schule, dass die Rückkehr zu einer Selbstverständlichkeit zu einer Schwerpunktoffensive der Regierung überhöht werden kann.

Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit den 50 Millionen Euro für den Wissenschaftsbereich. Höherer Zuschuss an die Forschungsinstitute? Ein Blick in den Haushaltsplan lehrt: In den Verträgen mit Bund und Ländern ist die jährliche Steigerung von 2 Prozent festgeschrieben. Sie müssen zahlen, ob Sie wollen oder nicht

Mehr Studienplätze im Eingangssemester? Wir erinnern uns: Bund und Länder mussten Herrn Wowereit bei den Verhandlungen über den Hochschulpakt dazu nachgerade zwingen.

Kofinanzierung der Excellenzinitiative? Wenn das nicht gewährleistet wäre, bräuchten unsere Hochschulen bei diesem Bundeswettbewerb gar nicht erst anzutreten.

Es ist ja gut, dass das dank der Bundespolitik alles passiert. Aber dass Sie versuchen, das als eigene höhere Einsicht und freiwillige Schwerpunktsetzung zu verkaufen, ist nicht ohne Komik.

Wer mehr und anderes will, müsste innerhalb der festgelegten Ausgabenlinie umschichten, indem er das für echte Politikschwerpunkte nötige Geld an anderer Stelle zusammenspart. Das könnte der Senat, wenn er noch die Fähigkeit und den Willen zu Strukturreformen hätte. Hat der Senat aber nicht.

Bis heute fehlt ein klares Personalkonzept, das den aus heutiger Sicht betriebsnotwendigen Personalkörper stellenscharf definiert, das Beamtenrecht novelliert und die Eckpunkte für den neuen Tarifvertrag nach Ende des Solidarpakts im Öffentlichen Dienst festlegt.

Wenn wir das fordern, pflegt Herr Sarrazin im Ausschuss zu nicken, als würde er gern und jederzeit ein solches Konzept vorlegen. Aber der Senat als Ganzes bleibt stumm, weil er in dieser Frage tief gespalten und nicht handlungsfähig ist.

Ohne Veränderung der Verwaltungsstruktur und der Arbeitsprozesse wird auch der von Ihnen betriebene Personalabbau bald an seine Grenzen stoßen. Wir fordern nicht erst seit heute, dass vor allem die immer noch vorhandene Doppelarbeit durch klare Abgrenzung von Landes- und Bezirksaufgaben in einer abschließenden Positivliste beseitigt wird. Vom Senat ist hier schon seit langen nichts mehr zu hören und zu sehen.

Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die IT- und Gebäudekosten des Landes zu senken. Das sagen alle hier im Saal. Ja dann, meine Damen und Herren von SPD und PDS, frisch ans Werk! Wo bleibt die kostensenkende Marschroute bei der Zumessung von IT-Ausgaben an die Dienststellen der Verwaltung? Und wo bleibt Ihr Vorschlag, auch in den Bezirken das „Mieter-Vermieter-Modell“ einzuführen, um die Bewirtschaftung der landeseigenen Gebäude effizienter zu gestalten.

Eine große Belastung, die ohne Gegenmaßnahmen von heute 1,1 Milliarden Euro bis 2020 auf 1,7 Milliarden Euro ansteigen wird, stellen die Versorgungsausgaben dar.

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern drückt sich der Senat vor der Umsetzung des geltenden Rentenrechts auf das Versorgungssystem der Beamten, obwohl das auch in Berlin die Pensionslasten begrenzen würde. Und auf den für 2008 angekündigten Aufbau einer Versorgungsrücklage will der Senat offenbar verzichten. Jedenfalls steht im Haushalt nichts dazu drin. Wenn Sie sich eines anderen besinnen, würden wir das ausdrücklich unterstützen.

Abschließend zur größten Last, die der Haushalt mit sich herumschleppt. Uns alle drückt der Schuldenberg von 60 Milliarden Euro. Denn der zieht 2,4 Milliarden Euro Zinsen nach sich.

Das sind 2,4 Milliarden Euro reguläre Einnahmen pro Jahr, die nicht für Leistungen an die Bürger zur Verfügung stehen. In Bundesländern, die eine solidere Haushaltspolitik betrieben haben, liegt der Anteil der Zinsen an den Einnahmen weit niedriger als in Berlin. Hätten wir deren Zins-Einnahme-Quote stünden uns - sage und schreibe - 1,5 Milliarden Euro mehr für aktive Politik zur Verfügung.

Dies macht doch hinreichend deutlich, wie wichtig es für die Stadt ist, dass bei der Föderalismusreform II neben strengeren Verschuldungsregeln auch ein Entschuldungspakt geschlossen wird, der es Berlin ermöglicht, seine Zinslast mit Hilfe der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu reduzieren.

Was aber macht Herr Wowereit? Der redet nicht mal mit dem Vorsitzenden der Föderalismuskommission über dieses existentielle Thema und überlässt das Gespräch der Opposition.

Berlin hätte wahrlich eine bessere Regierung verdient.

Der frühere Bundeskanzler Schröder hat in einem unbedachten Augenblick von der „Politik der ruhigen Hand“ gesprochen. Das ist ihm, Sie erinnern sich, nicht gut bekommen. Das hier ist ein „Haushalt der ruhigen Hand“, und der wird unserer Stadt nicht gut bekommen.

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