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von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 19. Sitzung, 11. Oktober 2007, Nachtragshaushalt 2007

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Zuerst die gute Nachricht: Der Haushalt 2007 wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der erste Berliner Haushalt seit Jahrzehnten sein, der ohne einigen einzigen Pfennig oder Cent Neuverschuldung auskommen wird.

Und nun die schlechte Nachricht: Der gleiche Haushalt ist mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig, weil Rot-Rot mit einem Buchungstrick zu Lasten des Haushalts 2007 verschleiern will, dass sich die Koalition im Jahr 2008 Ausgaben von fast 300 Millionen Euro genehmigt, die in durch die Einnahmen des nächsten Jahres nicht gedeckt sind.

Im Ergebnis ist dieser Haushalt weder wahr, noch klar, noch hinreichend genau. Und das sind nicht irgendwelche Wörter sondern Verfassungsgrundsätze, die bei der Aufstellung eines Haushalts zwingend beachtet werden müssen!

Doch der Reihe nach: Rot-Rot legt uns hier heute einen Haushaltsplan mit einer Neuverschuldung von 174 Mio. Euro vor, obwohl der Haushalt ohne große Mühe ausgeglichen sein könnte. Sie tun das wider besseres Wissen, mutwillig und ohne Not! Ich rechne es Ihnen gerne vor.

Erstens prognostiziert der Senat, dass die Personalkosten um 60 Millionen Euro niedriger ausfallen werden, als in diesem Haushalt geplant. An dieser Prognose ist nicht zu zweifeln, denn die Kostenunterschreitung war auch in den vergangenen Jahren ähnlich groß.

Damit schrumpft das Defizit von Ihren 174 Millionen Euro auf 114 Millionen.

Zweitens prognostiziert der Senat, dass die Zinsausgaben 23 Millionen Euro geringer ausfallen werden als im Nachtrag 2007 vorgesehen. Diese Prognose entspricht ebenfalls der Erfahrung der Vorjahre und ist deshalb nicht zu bezweifeln.

Damit schrumpft das Defizit auf nur noch 91 Millionen Euro.

Drittens hat der Geschäftsführer des Liegenschaftsfonds, Herr Lippmann, verkündet, dass die Erlösabfuhr 2007 des Liegenschaftsfonds um 112 Millionen Euro höher liegen wird, als im Haushalt 2007 vorgesehen. Das ist ebenfalls nicht zu bezweifeln: Keiner der hier anwesenden Abgeordneten und Vertreter der Finanzverwaltung hat dieser Prognose widersprochen, als sie im Aufsichtsrat des Liegenschaftsfonds zur Kenntnis gegeben wurde.

Damit verwandelt sich das Defizit von 94 Millionen Euro bereits in einen Überschuss von 18 Millionen Euro.

Damit aber nicht genug: Dem Landeshaushalt stehen noch rund 10 Millionen Euro aus dem Verkauf der Stadtgüter zu. Außerdem haben die Beratungen des Nachtragshaushalts gezeigt, dass uns im Bereich der Wohnungsbauförderung eine Ergebnisverbesserung von mindestens 90 Millionen Euro ins Haus steht.

Damit ist ein Haushaltsüberschuss von 118 Millionen Euro erreicht. Anzunehmen ist, dass der Haushaltsabschluss 2007 zum bevorstehenden Jahresende noch besser ausfallen wird.

Es bleibt die Frage: Warum schreibt Rot-Rot die unbezweifelbaren Mehreinnahmen und Minderausgaben nicht in diesem Nachtragshaushalt,
obwohl rechtlich vorgeschrieben ist, dass alle bekannten Tatsachen veranschlagt werden? Warum will die Regierungskoalition aus SPD und PDS einen Haushalt mit einer Neuverschuldung 174 Millionen beschließen – und das wider besseres Wissen?

Ich kann es nur vermuten. Wahrscheinlich haben sie einen Narren an der Methode gefressen, die Einnahmen zu gering und die Ausgaben zu hoch anzusetzen, um dann zum Jahresende den - logischerweise - besseren Haushaltsabschluss als überraschenden Erfolg mit Nachrichtenwert zu verkaufen. Das haben Sie schon in den letzten Jahren so gemacht.
Und offensichtlich wollen sie dieses Kindergartenspektakel auch 2007 veranstalten.

„Rotes Plansoll übererfüllt“ – Diese Nachricht versuchen sie regelmäßig -
sogar viermal zu verkaufen. Das erste Mal mit dem nächsten Statusbericht kurz vor Jahresende,das zweite Mal Anfang des Folgejahres mit Verweis auf den 31. Dezember,das dritte Mal, wenn im März des Folgejahres die Bücher endgültig geschlossen werden, und das vierte Mal, wenn im Herbst des Folgejahres
die Haushalts- und Vermögensrechnung endgültig beschlossen wird.

Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit werden auf dem Altar einer Kommunikationsstrategie geopfert, die inzwischen nur noch nervt.

Beim ersten Mal war dieser Trick vielleicht noch überraschend. Inzwischen weiß aber jeder, dass Herr Sarrazin falsche Haushaltsansätze zu bilden pflegt, um daraus einen „Reptilienfonds“ zu speisen, der tief im schwarzen Kontenkeller der Finanzverwaltung darauf wartet, dass Herr Sarrazin diesem oder jenem Senator je nach Laune ein kleines Extra spendiert, zusätzliche Rechnungen bezahlt, die unverhofft auftauchen, und am Ende noch etwas übrig behält, das die Koalition als Erfolg großartiger Haushaltsdisziplin abfeiern darf.

Ich rate Ihnen dringend, wenigstens diesmal von diesem Verfahren Abstand zu nehmen. - und will ihnen auch erklären warum:

Denn mit dem Nachtrag 2007 haben sie zugleich zwei Rücklagen gebildet. Erstens eine Zweckrücklage für die Kosten der Risikoabschirmung nach § 62 Absatz 2 LHO, in die sie knapp 4,6 Milliarden Euro aus dem Verkauf der LBB einspeisen wollen.

Und zweitens haben Sie ohne jede haushaltsrechtliche Ermächtigung eine allgemeine Rücklage nach § 62 Absatz 1 gebildet, in der sie weitere 723 Millionen Euro aus dem Verkauf der Bankgesellschaft geparkt haben um sie - am Haushalt 2007 vorbei - in den Haushalt 2008 zu schleusen.

Und dazu gucken wir uns doch mal gemeinsam die Rote Nummer 182 an. In der schreibt uns der Finanzsenator mit Datum vom 15. Februar zur Bildung von Rücklagen nach § 62 LHO Absätz1 und 2 Folgendes auf:

ZITAT ANFANG „Der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 02.09.2003 ausdrücklich festgestellt, dass eine Rücklagenzuführung bei einem kreditfinanzierten Haushaltsplan gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§7 LHO) verstößt, weil die einer Rücklage zugeführten Mittel den Haushalt des entsprechenden Jahres belasten, obwohl sie nicht benötigt werden (§6 LHO). Dies ist in Berlin nicht anders zu beurteilen. Auch eine Rücklage nach § 6 Abs. 1 LHO, der eine Kassenverstärkungsrücklage vorsieht, hat derzeit keine Relevanz, denn er kann nur Wirkung entfalten, wenn ein Haushalt ohne Nettoneuverschuldung auskommt.“ ZITAT ENDE

Nach Lektüre des Urteils des Verfassungsgerichts von Nordrhein Westfalen habe ich dem nichts hinzuzufügen. Was hier verurteilt wird, ist genau das, was Sie jetzt machen: Sie bilden Rücklagen, obwohl der Haushaltsplan noch nicht ausgeglichen ist. Und das geht nicht!

Sie haben jetzt noch etwas Zeit, dem abzuhelfen, und einen Änderungsantrag einzubringen, der einen verfassungsgemäßen Haushalt garantiert.

Oder – falls ihnen das zu hektisch ist: Sie stimmen der Einfachheit halber dem Antrag der Opposition zu. Der macht es nämlich richtig.

Der veranschlagt erstens sämtliche Einnahmen aus dem Bankverkauf - also die gesamten 5 Milliarden 320 Millionen und einen Euro - er veranschlagt zweitens sämtliche anderen Mehreinnahmen und Minderausgaben, die uns allen zweifelsfrei bekannt sind, und er kehrt dann drittens den gesamten Haushaltsüberschuss aus und führt ihn der Zweckrücklage für die Kosten der Risikoabschirmung zu.

Wie immer Sie sich entscheiden: Auf jeden Fall müssen Sie von dem Versuch ablassen, dem Haushalt 2007 einfach 723 Millionen Euro vorzuenthalten, die wir seit dem 8. August nachweislich auf einem Konto der Landeshauptkasse haben. Die sind nachweislich da, stehen aber weder im Text des Haushaltsgesetzes noch im Zahlenwerk. Und das geht schlicht und einfach gar nicht, denn ein Staatshaushalt hat vollständig zu sein. Es darf keine schwarzen Kassen und Konten geben, auf denen Geld herumliegt, das im Haushaltsplan nicht verbucht, ja nicht einmal erwähnt ist.

Sie beschwören damit zum dritten Mal eine haushaltspolitische erfassungskrise herauf und sorgen obendrein dafür, dass es über Rot-Rot mal wieder bundesweit heißt: „Die können alles nur nichts richtig!“.

Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie: Ändern Sie das vorliegende Haushaltsgesetz so, dass Berlin auch morgen früh noch einen Haushalt hat, der mit Sicherheit verfassungsgemäß ist.



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