Menü
Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen zum Umgang mit den Beteiligungen Berlins (Arbeitspapier Fraktionsklausur 2003)
Zum 30.6.2002 war das Land Berlin an 72 Unternehmen unmittelbar und an 242 Unternehmen mittelbar beteiligt. In einer ABC Analyse hat die Senatsverwaltung für Finanzen die meisten unmittelbaren Beteiligungen in drei Kategorien aufgeteilt:
A = 29 Beteiligungen (z. B. Bankgesellschaft, Anstalten öffentlichen Rechts, Wohnungsgesellschaften, Flughafenholding, Liegenschaftsfonds)
B = 14 Beteiligungen (z. B. Berliner Großmarkt, Grün Park und Garten GmbH, VBB
C = 22 Beteiligungen, in denen z.T. auch Bund und Länder Gesellschafter sind (z.B. Kunst- und Ausstellungshalle, BRO GmbH, Hahn-Meitner-Institut, Deutsches Historisches Museum)
Diese Einteilung erfasst Größe und Risiko der Unternehmen, ausdrücklich aber nicht die Frage, bei welchen dieser Unternehmen ein wichtiges Interesse des Landes für die Fortführung der Beteiligung besteht.
Das Resultat des letzten SPD-Parteitags lässt darauf schließen, dass der Senat auch in Zukunft die Frage nicht wird beantworten können, welche Beteiligungen Berlins zum Kernbestand staatlicher Tätigkeit gehören und welche nicht. Die Führung der SPD scheiterte mit ihrem ursprünglich aufgabenkritischen Ansinnen, und der Parteitag fasste den wolkigen Beschluss, der Verkauf öffentlicher Unternehmen solle dann unterbleiben, wenn die Rendite-Erwartungen privater Investoren das Gemeinwohl zu dominieren drohen.
Dieser Beschluss ist ein Freifahrtschein für die Fortsetzung des Berliner Staatskapitalismus, der wirtschaftspolitische, soziale und ökologische Wohltaten verspricht und milliardenschwere Haushaltslöcher hinterlässt. Wie das mit der erklärten Absicht, den Berliner Haushalt zu sanieren zusammengehen soll, bleibt das Geheimnis der führenden Regierungspartei. Denn es ist Voraussetzung für den Erfolg jeder Sanierungsstrategie, die finanziellen Risiken mit allen gebotenen Mitteln zu minimieren, die in den Beteiligungsgesellschaften Berlins liegen.
1. Landesbeteiligungen reduzieren und den Wettbewerb vorantreiben
Ziel von Bündnis 90/Die Grünen ist ein moderner Staat, der seine Dienstleistungen und die Daseinsfürsorge über Auftragsvergabe politisch steuert, aber nicht mehr selbst in der Verlustzone herumrudert. Überall dort, wo funktionierende Märkte diese Dienstleistungen zu mindestens gleicher Qualität und Kosten bereit stellen und überall dort, wo solche Märkte aufgebaut werden können (kontrollierter Wettbewerb), kann und soll sich Berlin von seinen Landesbeteiligungen trennen. Bündnis 90 / Die Grünen streben folgende Ziele zur Neuordnung der Landesbeteiligungen an:
2. Beteiligungsmanagement aufbauen
Für die Übergangszeit und für die dauerhaften Beteiligungen des Landes ist ein wirksames Beteiligungsmanagement aufzubauen, das sich nicht länger ausschließlich auf die Tätigkeit der Aufsichtsräte verlässt. Die Berlinerinnen und Berliner haben als Steuerzahler und Eigentümer der Unternehmen das Recht auf ein Höchstmaß an Transparenz und Überprüfbarkeit der Landesunternehmen und ihrer Geschäftstätigkeit. Parlament und Senat benötigen klare Ziele für die landeseigenen Unternehmen, ein regelmäßiges Berichtswesen und ein individuelles Risikomanagement, um den Grad der Zielerreichung anhand von Zielvorgaben fortlaufend beobachten und bei Abweichungen korrigierend eingreifen zu können.
Angesichts der Milliardenschäden, die im Beteiligungsbereich des Landes bereits entstanden sind, kann Haushaltskonsolidierung nicht bedeuten, die personellen und finanziellen Ressourcen des Beteiligungsmanagements herunterzufahren. Im Gegenteil. Es sind ausreichend Finanzmittel bereit zu stellen, um das erforderliche Know how bereit zu stellen.
Um die unabhängige Sicherung des Beteiligungscontrolling bei den Landesbeteiligungen zu gewährleisten, sollte eine Controlling-Gesellschaft nach dem Muster der BCIA gegründet werden, die die wirtschaftliche Entwicklung, die Erfüllung von Zielvereinbarungen und das Risikomanagement der wesentlichen Landesbeteiligungen ( Kategorie A) überwacht. Ihre Aufgabe ist es zudem, Entscheidungen des Senats und der Vertreter Berlins in den Aufsichts- und Verwaltungsräten vorzubereiten und die Senatsvertreter in kaufmännischen, rechtlichen, personellen, organisatorischen Fragen sowie der wirtschaftlichen Führung zu beraten.
Dem Abgeordnetenhaus ist halbjährlich Bericht über Ziele, Maßnahmen mit Zeitbezug Kennzahlen, Zielerreichungsgrade und das Chancen/Riskomanagement zu erstatten. 65 Abs. 2 LHO verlangt die Information über Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen durch den Senat. Der jährliche Beteiligungsbericht ist nach Inhalt und Erscheinungsrhythmus dafür völlig unzureichend. Wenn man den German Corporate Governance Codex der Bundesregierung und das Gesetz über Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) mit ihrer Intention des Anlegerschutzes auf die staatlichen Unternehmen anwendet, wird deutlich, dass das ganze Parlament über Entwicklungen in den Beteiligungen regelmäßig und zeitnah zu unterrichten ist. Ist doch das gesamte Parlament von den Bürgern (Anlegern) gewählt und nicht nur die Vertreter in den Beteiligungen.
3. Public Corporate Governance Kodex - für die Landesbeteiligungen
Um ein wirksames Beteiligungsmanagement in Berlin zu verwirklichen, ist ein Public Corporate Governance Kodex (PCG Kodex) zu entwickeln, der die über eine Vielzahl von Vorschriften verstreuten Regelungen zur Mitwirkung und Kontrolle zusammengefasst dokumentiert und wirkungsvoll ergänzt. Im besten Fall wird ein solcher PCG Kodex zur Initialzündung für eine vorbildliche Unternehmenskultur öffentlicher Betriebe, die das Selbstverständnis der öffentlichen Unternehmen, ihrer Leitung und ihrer Mitarbeiter prägt.
Um Verbindlichkeit zu entfalten, ist der PCG-Kodex mit den wesentlichen Beteilungen des Landes (Kategorie A) unabhängig von ihrer Rechtsform (AG, GmbH, AöR) fest zu vereinbaren. Die Übernahme des PCG-Kodex ist von den zuständigen Organen der Gesellschaften (Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat oder Gesellschafter- bzw. Gewährsträgerversammlung) zu beschließen. Vorstände bzw. Geschäftsführer sind in ihren Arbeitsverträgen auf den Kodex zu verpflichten.
Der PCG-Kodex soll zusätzlich zu den in Berlin bereits geltenden Bestimmungen:
Die genannten Gesetze und Empfehlungen für eine ordnungsgemäße Unternehmensführung mit entsprechenden Kontrollmöglichkeiten lassen sich auf die Unternehmen des Landes Berlin übertragen. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, dies nicht zu tun. Denn alle Bestimmungen und Vorschläge dienen dem allgemeinen Ziel, zu einer Verbesserung der Unternehemsführung und damit des wirtschaftlichen Erfolges beizutragen.
Der PCG-Kodex soll zumindest die im Folgenden aufgeführten, neuen Regelungen umfassen. Dabei gelten die Regelungen für Vorstände und Aufsichtsräte analog auch für Geschäftsführer und Verwaltungsräte.
3.1. Ziele vorgeben und Zielvereinbarungen abschließen
Für jedes Landesunternehmen sind durch das Abgeordnetenhaus Sinn und Zweck der Beteiligung zu definieren und klare fachpolitische und wirtschaftliche Zielvorgaben zu beschließen. Beispiele für solche Zielformulierungen finden sich u.a. im Querschnittscontrolling (IdA-Controlling), im Abfallwirtschaftsplan oder im Nahverkehrsplan.
Auf Grundlage dieser Vorgaben sind in einer Zielvereinbarung mit jedem Unternehmen die Unternehmensstrategie und operative Maßnahmen zu vereinbaren, mit denen das jeweilige Unternehmensziel erreicht werden soll. Ferner sind in den Zielvereinbarungen die Meilensteine festzulegen, anhand derer Fortschritte bei der Zielerreichung kontrolliert werden. Vorbilder dafür finden sich beispielsweise im BSU 2000, in der Zielvereinbarung mit der BSR oder in den Restrukturierungskonzepten von Bankgesellschaft oder Vivantes.
Im PCG-Kodex ist schließlich festzulegen, dass bei der Neuberufung von Vorständen und Aufsichtsräten die Zielvorgaben für das geforderte Qualifikationsprofil maßgeblich sind.
3.2. Reporting System
Zur Kontrolle der wirtschaftlichen Entwicklung der wesentlichen Landesbeteiligungen und der mit ihren abgeschlossenen Zielvereinbarungen ist ein Reporting-System aufzubauen, das zeitnah über die Ertrags- und Liquiditätslage sowie die Entwicklung des Chance-Risiko-Profils (C/R Profil) der Unternehmen Auskunft gibt. Die entsprechende Berichterstattung hat - vergleichbar dem Monitoring-Bericht über die Entwicklung der BVG - monatlich gegenüber dem Senat und seiner Controlling-Gesellschaft zu erfolgen sowie halbjährlich gegenüber dem Abgeordnetenhaus.
3.2.1. Kennzahlengestütztes Beteiligungscontrolling
Es ist ein kennzahlengestütztes Berichtssystem zu errichten. Von den Unternehmen sind monatlich mindestens folgende Kennziffern mitzuteilen, die Aussagen über die Ertrag- und Liquiditätslage zulassen und auch als Risikoindikator herangezogen werden können.
Ist- und Solldaten sind dabei gegenüberzustellen, damit Fehlentwicklungen frühzeitig sichtbar werden und Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden können. Ist der für einen Zeitraum gewünschte und in der Zielvereinbarung mit dem Verantwortlichen dokumentierte Zielerreichungsgrad nicht erkennbar, muss über Konsequenzen bis hin zu dienstrechtlichen Maßnahmen nachgedacht werden. Bei positiver Abweichung müssen für die Verantwortlichen Erfolgsbeteiligungen bereitgestellt werden.
3.2.2. Chancen/Risikomanagement
Jedes Unternehmen ist verpflichtet, ein maßgeschneidertes Risikomanagementsystem entwerfen, das den Kriterien von Transparenz, Vollständigkeit und Ganzheitlichkeit in Erfassung und Dokumentation der Sachverhalte genügt und Früherkennung sich konkretisierender Risiken ermöglicht. Die Risiken sind in bestandsgefährdende, wesentliche und unwesentliche zu unterteilen. Es erfolgt zudem eine Quantifizierung (Schadenshöhe) und eine Zuordnung von Eintrittswahrscheinlichkeiten.
3.3. Regelungen für die Organe der Gesellschaften
Für die Organe der Landesbeteiligungen sollen zusätzlich zu den bestehenden Regelungen die folgenden Empfehlungen des German Corporate Governance Codex verpflichtend zur Anwendung kommen.
3.4. Umgang mit Wirtschaftsprüfung
Der Aufsichtsrat soll einen Prüfungsausschuss (Audit Comittee) einrichten, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements, der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfauftrages an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst. Dabei sind mindestens folgende Regelungen einzuhalten:
Jochen Esser, 2003