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Die Stadt, das Haushaltsloch und die Bank

 Alles begann mit einer grandiosen Fehleinschätzung. Ich erinnere mich noch plastisch an eine Wirtschaftskonferenz des Neuen Forums im Herbst 89 in Berlin-Buch. Dort versprach der damalige Präsident des BDI Tyll Necker den Anwesenden eine Wohlstandsexplosion nach dem Vorbild des westdeutschen Wirtschaftswunders. Es käme nur darauf an, dass sich Ostdeutschland rasch in den Weltmarkt integriere und an den bewährten Rezepten Ludwig Erhards orientiere. Dann sei das zweite deutsche Wirtschaftswunder gewiss.

Die Einwände der ebenfalls geladenen Wirtschaftspolitiker der Alternativen Liste, dabei könne auch ein Mezzogiorno im Osten Deutschlands herauskommen, fanden im revolutionären Überschwang nur mäßig Gehör. Dabei hatten wir zwei ernstzunehmende Argumente.

Das erste war wirtschaftspolitischer Natur. Die Bundesrepublik hatte sich nach dem Krieg keineswegs umstandslos in den Weltmarkt integriert, sondern den eigenen Aufbau für Jahrzehnte mit eigener Währung, Devisenbewirtschaftung und Zollschranken gegen auswärtige Konkurrenz abgeschirmt. Diese Schutzmaßnahmen wurden nur sukzessive abgebaut. Die letzten "schwarzen Kreise", Ausdruck der Zwangswirtschaft im Immobiliensektor, verschwanden erst in den 70er Jahren. Die D-Mark ging erst vor zwei Jahren. Die europäische Wirtschaftsordnung für Landwirtschaft oder Montanindustrie ist noch heute ein Subventionsbollwerk zur Verlangsamung des Strukturwandels und zur Abwehr ausländischer Konkurrenz. 

Das zweite Argument war ein ökonomisches. Sicher konnte man angesichts des Nachholbedarfs der DDR im Infrastruktur- und Konsumbereich auf einen Nachfrageboom hoffen. Damit war die Parallele zur Nachkriegssituation aber schon erschöpft. Damals lagen die Produktionskapazitäten in ganz Europa und in Japan am Boden. Und in den USA der 50er Jahre war des Potential infolge des Koreakriegs überproportional an Rüstungszwecke gebunden. 1989 war es hingegen für die internationalen Konzerne überhaupt kein Problem, die Bedüfnisse von 17 Millionen Ostdeutschen mitzubedienen. Die maroden Betriebe der DDR wurden dafür nicht gebraucht.

Hurra, wir werden Metropole
Die Aussichten, solche Bedenken in praktische Politik umzusetzen, waren 1989 gleich Null. In der Folgezeit knallten nicht nur an den Grenzübergängen, am Reichstag und vor der Bankenfiliale am Alexanderplatz die Korken. Auch im Grunewald geriet das Westberliner Old-Boys-Network angesichts der glänzenden Aussichten in Sektlaune. Dass die künstlich am Leben erhaltene Westberliner Wirtschaft dem Ansturm der Weltmarktökonomie so wenig gewachsen war wie die der DDR, wurde dort nur insofern zur Kenntnis genommen, wie es die eigenen Interessen tangierte.

Sicher, der Weg in die Deindustrialisierung Berlins, den schockartigen Entzug der Berlin-Hilfen und den Abbau der großen Berliner AB-Maßnahme namens Öffentlicher Dienst war vorgezeichnet. Aber Berlin würde - so die allgemeine Annahme - den Strukturwandel zur modernen Dienstleistungsmetropole in kürzester Frist durchlaufen. Die damit verbundene Arbeitslosigkeit könnte rasch absorbiert werden. Die unvermeidlich entstehenden Löcher im Staatshaushalt dürften schnell wieder geschlossen sein. Am Ende des Weges würde eine Boomtown von Weltgeltung stehen. 

Da es sich beim Westberliner Bürgertum vornehmlich um Immobilenhaie und Baulöwen handelte, interessierten die Risiken dieses Szenarios nicht weiter. Auf alle Fälle würde gebaut werden. Berlin würde seine Mitte wiedergewinnen. Potsdamer Platz, Leipziger Platz, Friedrichstraße und Alexanderplatz könnten sich in gigantische Baustellen für Bürogebäude und Ladenlokale verwandeln. Berlin würde wieder Hauptstadt werden. Ein Regierungsviertel müsste rund um den Reichstag entstehen. Die Bevölkerung der designierten Hauptstadt würde explosionsartig wachsen. Sollte die Industrie ruhig untergehen. Auf den Industriebrachen würde man in städtischen Entwicklungsgebieten neue Stadteile aus dem Boden zu stampfen. Der marode Wohnungsbestand Ostberlins musste saniert werden. Und als Sahnehaube obendrauf würde Berlin die Olympischen Spiele samt nötiger Bauten bekommen.

Old Boys on the run
In den Köpfen des Westberliner Filzes dröhnten die Baumaschinen und toste der Verkehr wie weiland in den Ohren des Franz Biberkopf. Endlich raus aus dem Knast. Eine neue Gründerzeit war angebrochen. Man hatte nicht in der Mauerstadt ausgeharrt, um sich jetzt abservieren zu lassen. Die Westberliner Platzhirsche wussten allerdings, dass sie in offener Auftragsvergabe und freier Marktwirtschaft das Feld der auswärtigen Konkurrenz überlassen müssten. Sie würden sich den Platz an der Sonne mit den bewährten Mitteln des Westberliner Staatskapitalismus erkämpfen müssen: mit staatlichen Aufträgen, Subventionen und Kredit. Dazu brauchte man zwei Dinge: die politische Macht in der Stadt und eine Hausbank.

Unter den Westberliner Old Boys war einer, der mit etwas Glück und Geschick beides besorgen konnte: Klaus Rüdiger Landowsky. Der hatte schon in der Vergangenheit bewiesen, dass er im Verbund mit dem getreuen Eberhard Diepgen, "seine Crew" angemessen zu bedienen wusste. Nach dem sogenannten Antes-Skandal Mitte der 80er Jahre äußerte sich die altkonservative CDU-Abgeordnete Ursula Besser über Diepgen, Landowsky und die 68er der CDU so: "Das sind Technokraten der Macht. ... Wir haben es mittlerweile mit Leuten zu tun, die auch aus finanziellen Erwägungen Politik machen und die Partei für ihre persönlichen Interessen funktionalisieren."

Allerdings würde in Zukunft alles größer sein als bisher: die Stadt, die öffentlichen Aufträge, das Bauvolumen, die Gewinnaussichten und der Kreditbedarf. CDU und SPD teilten ihre Claims auf. Was dem einen sein Entwicklungsgebiet, war dem anderen sein Klingelhöfer-Dreieck. Große Aufgaben brauchen große Koalitionen, und große öffentliche Aufträge bedingen große Haushaltsausgaben. Mit Sparhaushalten ist da nichts zu machen. Das war der Beginn des "deficit-spending" der Ära Pieroth. Und schließlich benötigen große Bauvolumina ebenso große Kredite und Banken. Mit einer Sparkasse und einer kleinen Pfandkreditbank ging das nicht. Das war die Geburtsstunde der Bankgesellschaft Berlin. 

Die Wette auf die Zukunft, bei der die Koalition aus CDU und SPD die gesamten Resourcen des Landes Berlin einsetzte, konnte beginnen. Was damals voller Hoffnung war und von den Medien enthusiastisch begleitet wurde, endete - wie wir heute wissen- im Desaster. 

In der Schuldenfalle
Zwischen 1991 und 1995 steigerte der Senat die Ausgaben des Landes um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr. Doch die erhoffte wirtschaftliche Belebung blieb aus. Statt zur Boomtown entwickelte sich Berlin zum Schlusslicht der ökonomischen Entwicklung im vereinten Deutschland. Dabei hätte es überdurchschnittlicher Wachstumsraten bedurft, um die überzogenen Staatsausgaben durch steigende Steuereinnahmen zu refinanzieren. Auch fand der erwartete Bevölkerungszuwachs nicht statt. Stattdessen kam eine Abwanderung einkommensstarker Bevölkerungsschichten ins Umland in Gang und verstärkte die Erosion der Steuereinnahmen.

Im Ergebnis stieg das jährliche Haushaltsdefizit von 3,2 Milliarden DM im Jahr 1991 auf fast zwölf Milliarden im Jahr 1995. Der Schuldenstand des Landes explodierte im gleichen Zeitraum von elf Milliarden DM auf 44 Milliarden. Nur durch einen Kurswechsel, den der Senat 1996 mit der neuen Finanzsenatorin Fugmann-Heesing einleitete, konnte der rasche finanzielle Kollaps vermieden werden. Die jährlichen Ausgaben wurden bis 2000 stufenweise von 43 auf 41 Milliarden DM zurückgefahren. Gut 60.000 Stellen wurden abgebaut. Das strukturelle Finanzierungsdefizit halbierte sich von rund zwölf Milliarden DM im Jahr 1995 auf etwa sechs Milliarden am Anfang des neuen Jahrtausends.

Natürlich sind sechs Milliarden neue Schulden besser als zwölf. Aber sechs Milliarden DM zu leihen, zieht bei einem Zinssatz von sechs Prozent immer noch Zinsverpflichtungen von 360 Millionen DM im Jahr nach sich. Ohne sofortigen Ausgleich durch Sparmaßnahmen an anderer Stelle steigern sich die jährlichen Zinsszahlungen durch den Zinseszinseffekt von besagten 360 Millionen im ersten Jahr auf 600 Millionen DM im zehnten Jahr. Resultat: über zehn Jahre kommen Zinszahlungen von insgesamt 4,7 Milliarden DM zusammen, die für Bildung, Wissenschaft und soziale Belange schlicht fehlen. Die Schuldenfalle schnappt zu! Dem versuchte der Senat durch großangelegte Privatisierungen und Vermögensverkäufe entgegenzuwirken, die zwischen 1996 und 2000 knapp 10 Millarden DM in die Landeskasse spülten. Doch am Ende reichten Ausgabenreduktion und Vermögensverkäufe gerade dazu aus, den Anstieg des Schuldenbergs und der jährlich nötigen Zinszahlungen etwas abzuflachen. Trotz aller Anstrengungen wuchs der Schuldenberg auf 68 Milliarden Ende 2000. Die Zinszahlungen stiegen auf aktuell 4,2 Milliarden DM. Im Rückblick wirkt die Phase der Konsolidierungspolitik seit 1996 wie eine Mischung aus gut gemeinten Sanierungsanstrengungen und Konkursverschleppung. 

Extreme Haushaltsnotlage
Der Landesrechnungshof stellt in seinem Jahresbericht 2001 dazu treffend fest: "Die finanzielle Lage Berlins hat sich nicht verbessert. Die Schulden wachsen jährlich weiter an. Dies wird zu weiter steigenden Zinsausgaben führen, die bereits 2003, zusammen mit den Schuldendiensthilfen (für den sozialen Wohnungsbau, d.Verf.), annähernd 20 v.H. der für die Finanzierung staatlicher Aufgaben zur Verfügung stehenden, bereinigten Gesamteinnahmen Berlins verbrauchen werden. Damit sind die objektiven Voraussetzungen der vom Senat eher hypothetisch erörterten extremen Haushaltsnotlage bereits erfüllt."

Und weiter:" Vor diesem Hintergrund ist die optimistische Einschätzung des Senats, sich aus eigener Kraft aus dieser Lage befreien zu können, kaum realistisch. Der Rechnungshof ist der Auffassung, dass Hilfe nach Lage der Dinge nur vom Bund kommen kann. Der Bund kann die finanzielle Unterstützung für Berlin aber nur dann in Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Verantwortung in Angriff nehmen, wenn der Senat endlich zu strukturellen Einschnitten, insbesondere zum Abbau von Ausstattungsvorsprüngen übergeht, die nicht nur im Einzelfall schmerzhaft sein werden."

Der Rechnungshof hat diesen Bericht noch vor dem Desaster bei der Bankgesellschaft Berlin verfasst. Als er eine extreme Haushaltsnotlage im Sinne des Artikel 107 Grundgesetz konstatierte, konnte er noch nicht wissen, dass sich die Abschlussbilanz des Jahres 2001 vermutlich so lesen wird: Defizit knapp 14 Milliarden DM, Vermögensverkäufe 3,4 Milliarden DM, Nettoneuverschuldung 9,6 Milliarden, verbleibendes Defizit eine Milliarde DM, Schuldenstand zum 31.12 circa 79 Milliarden DM, voraussichtliche Zinsbelastung 2001 4,6 Milliarden DM. Das "Unternehmen Berlin" - wie Eberhard Diepgen es nannte - ist bankrott.

Fehlkonstruktion Bankgesellschaft
Im Zustand der Bankgesellschaft bündelt sich das ganze Elend des "Unternehmens Berlin" und der dahinterstehenden Politik. Bei Gründung der Bankgesellschaft 1994 würden alle Finanzinstitute zusammengekratzt, die in den Jahren der Teilung im Namen des Landes Berlin Kreditgeschäfte auf der Westberliner Insel getätigt hatten. Die Berliner Bank, die Landesbank Berlin, die Sparkasse Berlin-West, die zur Berlin-Hyp mutierte ehemalige Pfandbriefbank und schließlich die in Investitionsbank Berlin (IBB) umbenannte Wohnungsbaukreditanstalt.

Berliner Sparkasse und IBB wurden unter das Dach der Landesbank (LBB) gepackt und bildeten die öffentlich rechtliche Säule des Konzerns. Berliner Bank samt Tochtergesellschaften und die Berlin-Hyp bildeten zwei weitere privatrechtliche Säulen des neuen Instituts. Über allen drei Säulen thronte als Management-Holding die Bankgesellschaft Berlin.

Die Konstruktion hatte von vorneherein einen folgenschweren Webfehler. Die in der Landesbank gebündelten öffentlich-rechtlichen Bankinstitutionen haben gesetzlich umrissene öffentliche Aufgaben und unterliegen dafür definierten staatlichen Garantien. Das impliziert wiederum, dass die Landesbank vollständig im öffentlichen Eigentum verbleiben musste. Sie konnte also gar kein fest integrierter Bestandteil eines privaten Konzerns werden. Vielmehr musste ihre Selbständigkeit innerhalb der Bankgesellschaft gewahrt werden.

Was dem Sparkassendirektor recht ist, war aber dem Chef der Hypothekenbank nur billig, zumal wenn er Klaus Landowsky hieß. Gegenüber der Autonomie der Teilbanken, ihrer Vorstände und Direktoren blieb der Vorstand der Bankgesellschaft ohne echte Weisungsbefugnis. Die Management-Holding stand nur auf dem Papier. Die vom Zusammenschluss der Teilbanken erhofften Synergieeffekte konnten auf diese Weise nicht erreicht werden. Ein wirksames Controlling über das Geschäftsgebahren der Teilbanken wurde nie durchgesetzt.

Als erstes lief die Berliner Bank aus dem Ruder. Um sie zu retten, wurde sie auf die Holding verschmolzen. M.a.W.: die übrigen Teilbanken übernahmen die Last der Verluste, die bei der Berliner Bank eingetreten waren. Am 12.3.1998 diskutierte das Abgeordnetenhaus über diesen Vorgang. Michaele Schreyer sagte damals: "Die Konstruktion der Bankenholding war nicht zum Vorteil des Landes Berlin, und wir haben sie aus diesem Grunde auch abgelehnt - übrigens auch aus ordnungspolitischen Gründen. Ich frage ganz klar: Was hat eigentlich die öffentliche Hand im ganz normalen Geschäftsbankensektor zu suchen? Ich sage: Sie hat darin eigentlich nichts zu suchen!" An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll zwei Zwischenrufe heutiger Protagonisten der Krise in der Stadt. Der neue Fraktionsvorsitzende der CDU Frank Steffel rief: "Was erzählen sie da eigentlich?" und sein Vorgänger Klaus Landowsky glaubte bemerken zu müssen: "Hoffentlich werden Sie nicht einmal zuständig für irgendwelche Vermögensmassen."

Ruinöser Expansionskurs
Wie Klaus Landowsky gewirtschaftet hat, ist heute offenkundig. Vergessen wir nicht, dass das für die Westberliner Old-Boys wichtigste Geschäftsziel der Bankgesellschaft darin bestand, im großen Stil in die Finanzierung von Bautätigkeit und Immobilengeschäften einzusteigen. Innerhalb kürzester Frist vervielfachte sich das Kreditvolumen, das sämtliche Tochtergesellschaften in diesem Sektor ausreichten. Und die Immobilientochter IBG stieg zum größten Anbieter geschlossener Immobilenfonds in Deutschland auf.

Dieser Expansionskurs war mit hohen - zu hohen - Risiken behaftet. Wer als Newcomer rasch zum Marktführer aufsteigen will, muss den Anlegern bislang am Markt nicht angebotene Konditionen bieten. Die Bankgesellschaft schusterte den Anlegern eine einmalig günstige Fondskonstruktion zusammen. Steuervorteile der Anlaufphase und spätere Gewinne aus der Vermietung der Immobilien wurden den Anlegern garantiert, alle Verlustrisiken der Objekte übernahm die haftende Bank. Die Immobilienfonds bekamen so die Risikostruktur festverzinslicher Papiere, wobei die Rendite unter Einschluss der Steuervorteile deutlich höher lag als bei Anleihen.

Einem derart günstigen Modell konnten auch Direktoren der Bank nicht widerstehen. Im Verein mit Berliner Politikern und anderen Freunden wurden spezielle Fonds aufgelegt, deren Risiko anfangs noch bei den prominenten Anlegern lag. Als die Steuervorteile bereits eingestrichen waren, aber wider Erwarten tatsächlich Verluste eintraten, wurde die Fondskonstruktion einfach dem üblichen Geschäftsgebaren der IBG angepasst. Die Herren Direktoren entlasteten sich als Anleger von allen weiteren Verlustrisiken und schoben sie der Bank zu, bei der sie selbst beschäftigt und entscheidungsbefugt waren.

In der allgemeinen Stimmung des "Enrichissez Vous!" meinten auch zwei ehemalige Polizisten und CDU-Politiker namens Wienhold und Neuling zur Immobilienspekulation berufen zu sein. Mit ihrer Firma AUBIS stiegen sie in die Sanierung von Plattenbauten in Ostdeutschland ein. Ihre Kalkulationsgrundlage sah vor, dass die Gewinnzone bei voll vermieteten Objekten mit Mietzinsen von acht DM pro Quadratmeter erreicht würde. Auf der Suche nach kreditgewährenden Banken wurden sie angesichts der unseriösen Kalkulation überall abgewiesen. Erst bei der Bankgesellschaft und ihrem Parteifreund Klaus Landowsky wurden sie fündig. Der setzte gegen hausinterne Gutachten und erheblichen Widerstand die Kreditgewährung an AUBIS durch. Warum? Darüber zerbricht sich der Untersuchungsausschuss den Kopf. Können 40.000 DM verbotene Barspende der einzige Beweggrund gewesen sein, einen Kredit von 600 Millionen zu gewähren, den die Bank vermutlich abschreiben muss?

Der AUBIS-Kredit steht pars pro toto für das zweite grundlegende Risiko des Expansionskurses der Bankgesellschaft. Der Newcomer musste den Anlegern nicht nur unverantwortlich günstige Konditionen anbieten, sondern konnte seine Expansion nur auf dem noch unverteilten Immobilienmarkt Ostdeutschlands vorantreiben. Wären von der gut geölten Vertriebsmaschine der IBG Objekte in München oder Frankfurt verkauft worden, müssten man sich heute wenig Sorgen machen. Aber wo Bankgesellschaft Berlin drauf steht, sind eben Berlin, Cottbus, Rostock, Görlitz oder Lausitzring drin. Und überall dort sind der Bevölkerungsverlust und der Wohnungsleerstand ebenso groß wie die Überproduktion an Bürogebäuden und Gewerbeparks. 

Der aufgeflogene Scheinverkauf des Immobilienbestandes der IBG an eine Briefkastenfirma auf den Caiman-Inseln, hinter der die Bankgesellschaft selber steckte, hätte an den Fakten auch nichts ändern und sie nur für eine Weile verschleiern können. Dank der Betriebsprüfung durch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen liegt nun die Endabrechnung auf dem Tisch. In sechs Jahren hat die Bank Kapital in Höhe von zwölf Milliarden DM vernichtet. Eine Kapitalspritze von vier Milliarden DM ist umgehend erforderlich. Andernfalls muss die Bank ihren Geschäftsbetrieb einstellen.

An der Kapitalerhöhung wird sich das Land mindestens entsprechend seinen Anteil von 56,6 Prozent beteiligen müssen. Hinzu kommen Einnahmeverluste in Milliardenhöhe durch ausbleibende Dividenden und Ausfälle bei der Körperschaftssteuer. Bei den Verkaufsverhandlungen mit Investoren für die Bankgesellschaft oder Teile von ihr wird der Senat ebenfalls milliardenschwere Abschläge hinnehmen müssen.

Politisch können wir nur hoffen, dass das in der Landesbank konzentrierte Retailgeschäft der Bank durch Kaufinteressenten aus dem Sparkassenlager gerettet werden kann - also das Massengeschäft mit dem normalen privaten Kunden und das regionale Kreditgeschäft mit dem Mittelstand. Von den privatrechtlichen Teilen, dem internationalen Kapitalgeschäft und dem maroden Immobiliensektor, wird man sich auf die ein oder andere Weise trennen müssen. Die unternehmerische Führung durch das Land Berlin ist ohnehin verspielt und wird an die Investoren übergehen.

Aufräumarbeiten für 15 Jahre
Die politische Konsequenz aus dem Berliner Finanzdesaster sollte klar sein: Eberhard Diepgen und die Große Koalition müssen die Verantwortung für jahrelange Misswirtschaft übernehmen. Diepgen sollte zurücktreten und den Weg für Neuwahlen freimachen. Andernfalls - so hoffe ich - wird ein erfolgreiches Volksbegehren diesen Schritt erzwingen.

Die finanziellen Konsequenzen liegen ebenfalls auf der Hand. Geld, das verschleudert wurde, kommt nicht wieder, auch dann nicht, wenn die Regierung wechselt. Auch eine Regierung unter grüner Beteiligung wird gezwungen sein, sich an die Aufräumarbeiten zu machen. Fast 10 Milliarden DM tote Kosten für Zinsen, verfehlte Baupolitik, das Bankendesaster und für die Ineffizienz von Verwaltung und öffentlichen Betrieben lasten auf dem Berliner Haushalt. Zehn bis 15 Jahre wird die Aufarbeitung des Finanzdesasters mindestens dauern. 

Jochen Esser, 2001

erschienen in der Zeitung Stachlige Argumente im Frühjahr 2001

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