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von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin – 16. Wahlperiode, 40. Sitzung vom 15. Januar 2009, Konjunkturpaket II
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Bei der großen Koalition aus Herrn Goetze und Herrn Zackenfels und – soweit es die Berliner Situation betraf – auch Herrn Wechselberg könnte man fast den Eindruck gewinnen, wir gingen unter der Führung von Merkel und Seehofer herrlichen Zeiten entgegen. Endlich werden Steuern und Abgaben gesenkt, kleine Prämien an Eltern und große Prämien an Autokäufer ausgeschüttet, überfällige Investitionen getätigt und die Arbeitsämter aufgerüstet. Dabei wird doch spätestens beim letzten Punkt dieses Sammelsuriums namens Konjunkturpaket II deutlich, dass es, Herr Zackenfels, eben nicht um eine neue Ära der Wohltaten geht, sondern um eine schwere Wirtschaftskrise am Horizont. Wer wie die Bundesregierung jetzt 5 000 neue Vermittler für die Jobcenter einstellt, der rüstet sich für den Ansturm neuer Arbeitsloser.
Wir reden heute eben nicht über Wohltaten, sondern über eine Notoperation am offenen Herzen. Wir schütten seit November letzten Jahres Milliarden Euro in die Banken und die Wirtschaft, um die Krise und ihre absehbaren Folgen für die Bevölkerung abzumildern. Und wir tun das mit Geld, das wir gar nicht haben. Die Milliarden liegen nicht auf einem Konto, das der knauserige Staat bislang geheim gehalten hat, sondern der Staat schöpft dieses Geld per Kredit aus dem Nichts und folgt dabei dem Motto: Leiste dir heute etwas und bezahle später! Wir leihen uns das Geld aus der Zukunft und wälzen die Last auf unsere Kinder und Enkelkinder ab. Daraus ergibt sich für mich die zentrale Anforderung an jedes Konjunkturpaket: Wir müssen denen, die das in Zukunft erwirtschaften und abzahlen müssen, eine Gegenleistung bieten.
[Beifall bei den Grünen]
Ein kreditfinanziertes Konjunkturprogramm, das nicht auf Zukunftsinvestitionen und Strukturwandel, nicht auf Bekämpfung der Klimakatastrophe und die Verbesserung der Bildungschancen ausgerichtet ist, taugt nichts und verletzt zumindest mein Gerechtigkeitsgefühl zutiefst.
[Beifall bei den Grünen]
Um es klar zu sagen: Das Paket der Bundesregierung genügt diesen Anforderungen nicht. Dieses Maßnahmenbündel ist typisch für die Mechanismen einer großen Koalition. Jeder darf Wahlgeschenke verteilen, der Sachverstand bleibt auf der Strecke. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung – beide zusammengenommen – besteht allenfalls zu einem Drittel aus Investitionsmitteln, die sich zukunftsorientiert einsetzen lassen. Der Rest ist Kraut und Rüben, darunter als bitterste Pille für Berlin Steuersenkungen, die uns dauerhaft mit 183 Millionen Euro belasten, aber mit Sicherheit konjunkturell nicht zielgenau wirken. Zurück bleibt nur das Loch im Staatshaushalt, das erneute Sparmaßnahmen auf Kosten des Volkes verlangt. Aber der Lafontaine der CSU, Herr Seehofer, hat es so gewollt. Sie können nicht erwarten, meine Damen und Herren von der CDU, dass wir das richtig fänden und Sie, Herr Zackenfels, nicht, dass wir hier in Ihr Lob auf Herrn Seehofer einstimmen. Eine besondere Verrücktheit – schon öfter erwähnt – ist die Abwrackprämie für Kfz, von CDU und SPD dem Sachverhalt zum Hohn auch noch Umweltprämie genannt. Wer jetzt einen Porsche Cayenne kauft, bekommt vom Staat dafür 4 000 Euro geschenkt: 2 500 Euro Abwrackprämie aus dem zweiten Konjunkturpaket und 1 500 Euro Kfz-Steuerbefreiung aus dem ersten.
[Mario Czaja (CDU): Perfekt!]
Da werden Steuergelder unter dem Deckmantel der Krisenbekämpfung sinnlos verschleudert.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Martin Lindner (FDP)]
Wir werden uns hier in Berlin deshalb darauf konzentrieren müssen, aus den 430 Millionen Euro Investitionsmitteln, die für unsere Stadt abfallen, etwas Sinnvolleres zu machen. Es muss gelingen, ökologische Modernisierung und Strukturreformen in den Mittelpunkt der eigenen Anstrengungen zu stellen.
Der Senat wird am Dienstag beweisen müssen, dass er gewillt ist, den Investitionsstau in der Stadt anzugehen und mit der Politik der letzten sieben Jahre selbstkritisch zu brechen. Denn jahrelang hat Rot-Rot behauptet, einen Beitrag zur Haushaltssanierung zu leisten, wenn man die Infrastruktur verkommen lässt und sich die Instandhaltung spart. Angesichts dieser Vorgeschichte ist die Befürchtung begründet, dass Sie auch heute der Aufgabe nicht gewachsen sind, die Krise als Chance für einen Aufbruch zu nutzen. Es sieht ganz danach aus, dass Sie die 430 Millionen Euro einfach einsacken wollen, um das eine oder andere Versäumnis der Vergangenheit nachzuholen, Schulen und Kitas mit Pinselstrichsanierungen abzuspeisen und einigen Krankenhäusern verdeckt Subventionen zukommen zu lassen. Hätten Sie wirklich Großes vor, dann würden Sie nicht unverändert unseren Vorschlag ablehnen, die 940 Millionen Euro Haushaltsüberschuss aus diesem Jahr in ein Sondervermögen zu überführen, um die Investitionslinie zu verstetigen und aus den Einsparungen bei den Gebäudekosten zu refinanzieren.
[Beifall bei den Grünen]
Da sehe ich auch Ihre Ausführungen, Herr Wechselberg, mit Staunen. Beim Bund kann alles nicht groß genug sein, aber hier in Berlin, wo Sie die Verantwortung tragen, da reicht es klein-klein. Zusammen mit den 430 Millionen des Bundes entstünde, wenn man unseren Vorschlag umsetzt, ein Investitionsfonds von 1,4 Milliarden Euro. Mit dem ließe sich in der Tat ein mittelfristiges Investitionsprogramm gestalten, das mehr als ein Strohfeuer für zwei Jahre darstellen würde.
[Beifall bei den Grünen]
Der Umfang eines Investitionsprogramms muss sich nämlich daran messen lassen, dass wir in der Stadt insgesamt einen Sanierungsstau von gut 3 Milliarden Euro abarbeiten müssen. Ich kann Ihnen nur für unsere Fraktion und unsere Partei sagen: Wir werden kein Investitionsprogramm unterstützen, das auf die Bundesmittel beschränkt ist, derweil ansonsten alles so bleibt wie bisher und von Rot-Rot gewohnt.
[Lars Oberg (SPD): Oh, wir zittern!]
– Ja! Das muss man Ihnen doch wenigstens politisch klar sagen. – Maßstab für die Qualität eines Investitionsprogramms – das hat heute Frau Pop schon erwähnt – kann nur sein, dass die notwendigen Strukturveränderungen in der Stadt durch das Investitionsprogramm unterstützt werden. Wir sagen Ihnen das im Einzelnen gerne noch mal. Wir werden in den Schulen keine Sanierung akzeptieren, die nicht die 200 000 Euro enthält, die im Regelfall erforderlich sind, um die Energiekosten und den CO2-Ausstoß der Gebäude signifikant zu senken.
[Beifall bei den Grünen]
Ich stelle lieber zusätzliche Lehrer ein, als dass ich das Geld zu Vattenfall, Gazprom und den Ölscheichs trage.
[Beifall bei den Grünen]
Uns versetzt auch Ihre Sanierung von Schwimmbädern so lange nicht in Begeisterung, wie dabei nur die Dächer repariert und nicht auch die veralteten Heizkessel ausgewechselt werden, um der Energieverschwendung ein Ende zu bereiten und die Betriebskosten zu senken.
[Beifall bei den Grünen]
Wir werden genau auf das Folgende achten, Herr Wechselberg, weil Sie gesagt haben, das sehen Sie ähnlich. Wir werden kein Schulsanierungsprogramm akzeptieren und unterstützen, das nicht im Dienst der Schulreform steht und die Voraussetzungen für die neue Sekundarschule und für mehr Ganztagsschulen schafft. Denn das sind Schulen, die Kantinen und mehr Räume als Klassenzimmer brauchen, um auch pädagogisch Wirklichkeit zu werden.
[Beifall bei den Grünen]
Wir erwarten von Ihnen Maßnahmen, die diesen Strukturwandel vorantreiben und sich langfristig bezahlt machen. Andernfalls sind die Investitionen von Rot-Rot den Kredit nicht wert, mit dem sie finanziert werden.
Mit den neuen Schulden, die da entstehen, haben Sie ohnehin mehr als genug interne Probleme. Geht es nach dem Willen aller Parteien – außer der Linkspartei, tolles Alleinstellungsmerkmal! –, soll eine neue Schuldenregelung im Grundgesetz geschaffen werden. Bund und Länder sollen sich in Zukunft nur mit maximal 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung neu verschulden dürfen. Da haben Sie recht, Herr Zackenfels, dass Sie das unterstützen, das tun wir auch. Wir tun das deswegen, weil es ein Ende haben muss, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit etwa 40 Jahren die Staatsschulden schneller steigen als die Wirtschaftskraft unseres Landes und damit jeder neuen Generation geringer werdende Verteilungsspielräume zugemutet werden. Das ist für mich eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Die greifbar nahe Lösung darf nicht an Berlin und der fehlenden Zustimmung der Linkspartei scheitern.
[Beifall bei den Grünen]
Da ist der Regierende Bürgermeister in der Pflicht, und da sind Sie alle, meine Damen und Herren von der sozialde-mokratischen Fraktion, in der Pflicht. Ein weiteres Mal so kläglich einzuknicken wie beim EU-Reformvertrag, das ist in dieser Frage nicht drin!
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]
Gucken Sie sich die Presseerklärung von Herrn Liebich von heute an, dann wissen Sie, was Sie intern aufzubereiten haben. Auf uns Grüne ist Verlass, wenn es darum geht, bei Bildung, Klimaschutz und Haushaltssanierung die Zukunft auch für die nächsten Generationen zu sichern. Ob das in gleicher Weise für die Koalition von SPD und Linkspartei und den gegenwärtigen Senat gilt, werden Sie in den nächsten Monaten beweisen müssen. Noch im Laufe dieses Jahres werden wir wissen, ob Sie den Stresstest bestehen, den uns die Klimakrise und zugleich die Krise von Wirtschaft und Staatsfinanzen auferlegen. Im Augenblick würde ich sagen, auch nach dem, was heute hier gesagt wurde, sieht es allerdings so aus, dass Sie bereits am nächsten Dienstag auf der Senatssitzung an der ersten Hürde gründlich ins Stolpern geraten.
[Beifall bei den Grünen]
Vizepräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki:
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Esser!