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von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin – 16. Wahlperiode, 44. Sitzung vom 19. März 2009 zum
Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2009 (Nachtragshaushaltsgesetz 2009 – NHG 09) und zur
Ermächtigungen, Ersuchen, Auflagen und sonstige Beschlüsse aus Anlass der Beratung des Nachtrags zum Haushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2009 – Auflagen zum Nachtragshaushalt 2009 – In Bild und Ton RBB/Im Parlament
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt war ich doch überrascht: Herr Zackenfels hat nur Fragen, aber keine Antworten und wollte deswegen keine Antwort auf Herrn Goetze geben. – Herr Zackenfels! Ich finde, inso-fern hat Herr Goetze recht: die Rede passt zu dem Nach-tragshaushalt, und der ist – das wissen Sie auch – ein vorgezogener Aprilscherz.
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Denn begründet wurde er von Rot-Rot mit der Notwendigkeit, die Investitionsausgaben zu veranschlagen, die Berlin im Zuge des Konjunkturprogramms der Bundesre-gierung umsetzen soll. Und ausgerechnet dieser Titel wird jetzt vom Parlament gesperrt, weil der Senat sein Maß-nahmenpaket nicht beieinander hat. Angeblich soll das dann ja bis zum 1. April der Fall sein. Ich frage mich, welche Handlungsfähigkeit Sie eigentlich damit demonstrieren wollen, dass Sie den Haushalt dennoch heute verabschieden. Da ist keine Handlungsfähigkeit zu sehen – weit und breit nicht. Das Herzstück des Nachtragshaus-halts tritt heute nicht in Kraft, und da könnten wir jetzt eigentlich getrost nach Hause gehen und mit der Verab-schiedung noch zwei Wochen warten, Zeit, die der Senat offensichtlich noch braucht, um zu Potte zu kommen.
Zur Frage der Abstimmung: Herr Zackenfels! Eines können Sie angesichts so einer Lage bestimmt nicht erwarten, dass wir dieser Posse unseren Segen geben, indem wir diesem Haushalt zustimmen.
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]
Die Anforderungen der Grünen für ein zustimmungsfähi-ges Investitionsprogramm – das wir im Augenblick gar nicht prüfen können, weil es nicht vorliegt – haben wir Ihnen in den vergangenen Wochen mehrfach klar be-nannt. Ich tue es noch einmal: Erstens, wir akzeptieren kein Schulinvestitionsprogramm, das nicht im Dienst der Schulreform steht und die Voraussetzungen für die Se-kundarschule und mehr Ganztagsschulen schafft. Da sieht es dem ersten Anschein nach, ohne die Maßnahmeliste gesehen zu haben, ganz gut aus. Zweitens war und ist es unsere Auffassung, dass jede größere Sanierungsmaß-nahme nachweislich dazu beitragen muss, die Energiekos-ten und den CO2-Ausstoß signifikant zu senken, und die Erfüllung der Standards der EnEV 09 sind dabei das Mi-nimum. Denn wir stellen lieber zusätzliche Lehrer ein – das habe ich Ihnen auch schon gesagt –, als Geld zu Vattenfall, Gasprom oder den Ölscheichs zu tragen.
[Beifall bei den Grünen]
Bezüglich dieses zweiten Punkts lässt mich die gestrige Beratung im Hauptausschuss nichts Gutes ahnen. Was wir zu hören bekamen, waren derartig starke Ausflüchte, dass ich mir im Augenblick nicht mehr ganz sicher bin, ob wir nicht noch eines Tages Bundesgelder zurückzahlen müs-sen, weil die bisherige Planung von Rot-Rot nicht einmal die Vorgaben der Bundesregierung, dass ungefähr 40 Prozent der Ausgaben für jede Maßnahme energiewirksam sein müssen, erfüllt. Wir werden uns dann, wenn die Liste kommt und es um die Freigabe geht, an dieser Stelle sicher noch genau zu unterhalten haben.
Drittens – darüber haben Sie sich jetzt ausgelassen – haben wir Ihnen immer wieder gesagt – und ich wiederhole das –: Das Konjunkturprogramm muss in ein mittelfristiges Investitionsprogramm bis zum Jahr 2015 eingebettet sein, das erstens dem Umfang des Sanierungsstaus von über 2 Milliarden Euro gerecht wird und das zweitens kein beschäftigungspolitisch verpuffendes Strohfeuer für zwei Jahre darstellt.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Goiny (CDU)]
Ihnen, die Sie sieben Jahre lang in der Regierung im Investitionsstreik waren, glaubt doch kein Handwerksmeis-ter, kein Bauunternehmen, keiner, dem Sie jetzt Aufträge erteilen wollen, dass Sie angesichts der miserablen Haushaltslage des Landes nicht wieder zu einer derartig auf Verschleiß fahrenden, niedrigen Investitionslinie zurückkehren, sobald das Bundesgeld mit Kofinanzierung vom Land ausgegeben worden ist. Kein Mensch glaubt das, dass er im Jahr 2012 irgendeinen Anschlussauftrag bekommt! Keiner glaubt Ihnen überhaupt noch irgendetwas, auch wenn Sie versprechen würden, dass Sie es anders machen. Deswegen liegt hier von uns der Antrag auf dem Tisch, den Überschuss des Jahres 2008 in eine Sanie-rungsrücklage zu überführen, weil das echtes reserviertes Geld ist, worauf die Wirtschaft dann auch vertrauen kann, womit es nach 2011 mit den Investitionen weitergehen kann.
[Beifall bei den Grünen]
Wenn Sie das jetzt hier gleich ablehnen,
[Stefan Liebich (Linksfraktion): Ja!]
dann würde ich sagen, leisten Sie damit keinen Beitrag zur Haushaltssanierung, sondern in Wahrheit einen Beitrag zu der denkbar teuersten Form der Verschuldung, die wir im Augenblick genug zu spüren bekommen haben. Deswegen bitte ich Sie: Gehen Sie noch einmal in sich! Ein paar Minuten haben wir noch Zeit.
[Beifall bei den Grünen]
Kurz und gut: Eigentlich ist dieser Haushalt schlicht nicht verabschiedungsreif. Nur eines ist im Augenblick sicher: Der Nachtragshaushalt 2009 enthält 350 Millionen Euro Mehrausgaben, die ihren Ursprung nicht in der Wirtschafts- und Finanzkrise haben. Ich habe sie Ihnen beim letzten Mal aufgezählt, ich erspare mir das jetzt. Die ha-ben Sie nicht gesperrt. Die winken Sie ohne Gegenfinan-zierung durch, in der Hoffnung, dass das im allgemeinen Wirtschafts- und Haushaltsdesaster 2009 unbemerkt un-tergeht. Ich sage Ihnen: Wir merken das, und andere mer-ken das auch, weil wir ihnen das erzählen.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Goiny (CDU)]
Allein die 350 Millionen Euro, die auf Ihre Kappe gehen, von Tariferhöhungen bis zum Kauf von Tempelhof, sind geeignet, den ursprünglich mit einem Plus in Höhe von 90 Millionen Euro kalkulierten Haushalt ins Defizit zu stürzen. Allein die! Dabei ist die Wirtschaftskrise nicht mit drin. Damit setzen Sie die Übung fort, die in den letzten zwei Jahren Ihre Dauertätigkeit gewesen ist, unterjährig immer wieder Mehrausgaben zu beschließen, denen keine Sparmaßnahmen in gleicher Höhe gegenüberstehen. Auf diese Weise haben Sie in den letzten zwei, drei Jahren eine kleine Ausgabenparty gefeiert, die der Berliner Haushalt, wie sich heute zeigt, nicht verkraften konnte und auch in Zukunft nicht verkraften kann.
Ich denke – oder ich weiß auch –, dass das zumindest den Haushältern in allen – ich sage: in allen! – Fraktionen dieses Hauses klar ist, dass denen klar ist, dass die Party vorbei ist und erneut harte Zeiten anbrechen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich das in den Reihen der Koalition genügend herumgesprochen hat, und sehe deshalb die Entwicklung mit höchstem Misstrauen und mit Sorge. Sie sind im Augenblick ohne Kompass in der Haushaltspolitik! Bei Ihnen gibt es wilden Streit um die allseits bekann-ten Problemzonen des Haushalts. Die SPD möchte den Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung nicht mehr konsequent zuende bringen und wird deshalb von der Linkspartei gescholten. Die Linke dagegen will die Sen-kung der Personalkosten nicht länger mittragen und bekommt zur Belohnung dafür auch noch mehr Geld für ihre arbeitsmarktpolitische Fehlplanung namens ÖBS. Der BVG-Vorsitzende Sturmowski – das haben wir heute ja gehört, auch so eine Baustelle – fordert 90 Millionen Euro mehr Zuschuss, anstatt seinen Laden in Ordnung zu bringen. Bei der Charité sind Vorstand und Aufsichtsrat schlicht ratlos und seit Monaten nicht in der Lage, eine Finanzplanung aufzustellen. Herr Sarrazin stellt die Stadt zum Abschied vor die Wahl: Mehr Theater oder mehr Lehrer –, der neben ihm sitzende Senator Zöllner verspricht zur gleichen Zeit den Hochschulen ein atmendes System, in dem die steigenden Studierendenzahlen, Tarif-steigerungen und Pensionslasten durch den Landeshaus-halt aufgefangen werden.
Ihre Orientierungslosigkeit, meine Damen und Herren von SPD und PDS, ist inzwischen kaum noch zu ertragen. Da passt unterm Strich schlichtweg nichts zusammen!
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Goiny (CDU)]
In diese Lage geht dann noch Herr Sarrazin hinein und – das fand ich nun wirklich verantwortungslos – platziert in der letzten Woche eine völlig irreale Finanzplanung mit viel zu optimistischen Einnahmeerwartungen, bloß um diesen Leuten von Ihnen noch einmal zu suggerieren, 2013 bekommen sie einen ausgeglichenen Haushalt ohne eine einzige Gegenmaßnahme, ohne einen einzigen neuen Beschluss des Senats und von Rot-Rot machen zu müssen. Das, Herr Sarrazin, entschuldigen Sie, ist wirklich nicht von dieser Welt! Das wissen Sie auch, da täuschen Sie die Leute über die wirkliche Lage hinweg.
Ich glaube – damit will ich das hier zum Abschluss brin-gen –, wir brauchen ein realistisches Sanierungsziel, das wir gemeinsam definieren müssen. Ich sehe es eigentlich nur, indem – wie es die Schuldenbremse demnächst im Grundgesetz vorsieht – wir es schaffen, bis zum Jahr 2020 einen nachhaltig ausgeglichenen Haushalt zu haben. Wenn wir das früher schaffen, dann ist das schön,
[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]
aber bis dahin – und nicht vorher – werden wir es schaf-fen müssen. Wir brauchen ein Maßnahmepaket, um dieses Ziel zu erreichen, –
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns: Kollege Esser! Kommen Sie bitte zum Schluss!
Joachim Esser (Grüne): Ja! – wo das Minimum ist, dass die eine Milliarde, die hier zwischen allen Fraktionen bei der Personalkostenein-sparung und die eine Milliarde Euro, die zwischen allen Fraktionen bei der Frage, den Wohnungsbau herunterzu-fahren, vereinbart worden war, wo das komplett erfüllt wird. Da haben wir erst zwei Drittel des Weges hinter uns gebracht. Auf dem Weg würde ich gern mit Ihnen gehen.
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns: Herr Kollege! Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen!
Joachim Esser (Grüne): Ich bin am Ende, Herr Präsident! – Ich kann Sie eigent-lich nur bitten: Schaffen Sie das aus eigener Kraft, an-sonsten wird man Sie durch eine Verfassungsänderung dazu zwingen müssen, ein solches Sanierungsziel anzu-peilen und zum Ende zu bringen.
[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]
– Ja, Herr Liebich, da werden wir ja sehen, wer da die Mehrheiten hat!
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Goiny (CDU)