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 von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 49. Sitzung vom 11. Juni 2009 zum Thema: Erste Lesung zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2009

Vizepräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zackenfels! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Abgeordnete Esser das Wort. – Bitte!

Joachim Esser (Grüne): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Zackenfels! Nur zu Ihrer letzten Bemerkung von wegen Solidarität von Bund und Ländern: Wir haben ein Haushaltsvolumen von 20 Milliarden Euro, und ungefähr 5 Milliarden Euro davon werden von Bund und Ländern finanziert. Sich da hinzustellen und zu sagen, wir würden hier in Berlin auf ganzer Linie allein gelassen, das ist wirklich schäbig!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Seit November letzten Jahres schüttet die Politik Abermilliarden Euro in die Banken und in die Wirtschaft, um die schwerste Wirtschaftskrise seit 1929 und ihre Folgen für die Bevölkerung abzumildern. Das ist eine Notoperation am offenen Herzen. Der Finanzsenator hat es gesagt. Sie ist in der Tat ohne Alternative. Aber die Bevölkerung hat auch erkannt, dass der Staat dabei mit Geld operiert, das er gar nicht hat. Ich bin weit davon entfernt, das Ergebnis der Europawahl zu überschätzen, da kommen für Grüne auch wieder andere Zeiten. Aber die grüne Botschaft dieser Wahl ist auch nicht völlig trivial. Die Rettungsaktionen und Konjunkturprogramme müssen auf Strukturwandel, auf Bekämpfung der Klimakatastrophe und die Verbesserung der Bildungschancen, also nach vorne, ausgerichtet sein, sonst sind sie den Kredit nicht wert, mit dem sie teuer erkauft werden.

[Beifall bei den Grünen]

„Greening the economy“, das ist nicht nur in den USA das Gebot der Stunde. Auch die Wählerinnen und Wähler, nicht nur hier in Deutschland, sondern in ganz Europa haben klargemacht, dass in ihren Augen unser Wirtschaftssystem nur eine Zukunft hat, wenn es die ökologische Wende schafft und dass der Gegenstand unseres heutigen „deficitspendings“ nicht sein kann, den Leuten zu versprechen, es gehe rückwärts in die 70er-Jahre.

[Beifall bei den Grünen]

Die Wählerinnen und Wähler haben sehr deutlich – gera-de der SPD und der Linkspartei – klargemacht: Die Botschaft nachhaltigen Wirtschaftens gilt auch für den Staat und seine Finanzen. Deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nicht nur immer Ihre vergangenen Verdienste loben, sondern es sollte Ihnen langsam dämmern, dass sich in der aktuellen Berliner Haushaltspolitik einiges ändern muss. Da muss jetzt die Einsicht Platz greifen, dass wir unter den Bedingungen der Krise, wenn wir so weitermachen, die Handlungs-fähigkeit des Staates nicht erhalten können. Ich füge bewusst warnend hinzu: auf die Dauer auch nicht die Kreditfähigkeit.

Was wir vor allem brauchen, ist ein Sanierungsziel, an dem wir den Kurs der Haushaltspolitik langfristig wieder ausrichten können. Die 1,3 Prozent Ausgabensteigerungen, von denen hier mehrfach die Rede war, die sich die Koalition auf die Fahne geschrieben haben, können das nicht sein. Der Finanzsenator weiß es, die Haushaltspolitiker aller Fraktionen – auch Sie, Herr Zackenfels – wissen es, jeder, der ein Excel-Programm besitzt und bedienen kann, kann es wissen: Bei einem Ausgabenpfad von 1,3 Prozent und einer normalen Einnahmeentwicklung schließt sich auch nach dem erhofften Ende der Krise die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht. Im Gegenteil, die erforderliche Neuverschuldung – jeder kann das durch den Rechner jagen – weitet sich aus: 60, 70, 80 Milliarden Euro Schulden und so fort. Das ist kein Kurs, der auch nur irgendwie gangbar wäre. Da muss auf der Ausgabenseite etwas geschehen. Da muss allerdings, Herr Jotzo nickt, auch auf der Einnahmeseite was geschehen. Die Einnahmehoheit hat der Bund. Deswegen kann ich nur hoffen, dass die schwarz-gelbe Koalition der Steuersenker im September nicht an die Regierung kommt,

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

sondern dass die Bevölkerung, die erkannt hat, dass Nachhaltigkeit ein hohes Gut ist, das bis in den September noch weiß. Ich bin mir auch ziemlich sicher, es geht wie beim letzten Mal aus: Auf der Ziellinie werden Sie verrecken.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Christoph Meyer (FDP): Warten wir erst mal ab, wo Sie stehen bleiben!]

Ich sage aber auch an die rot-rote Adresse: Bundestag und die große Mehrheit der Bundesländer, egal wie die partei-politische Zusammensetzung ist, haben sich nicht Ihr komisches 1,3-Prozent-Ziel gesetzt, sondern setzen sich ein ganz anderes, gemeinsames Ziel. Sie wollen nämlich bis 2020 Bund und Länder in eine Lage versetzen, in der wieder annähernd ausgeglichene Haushalte geschrieben werden können. Das ist der Gegenstand der Schuldenbremse und der Grundgesetzänderung, über die morgen im Bundesrat abgestimmt wird.

Ob dieses Ziel wirklich erreicht werden kann, das gebe ich zu, ist durchaus ungewiss und höchst voraussetzungsreich. Aber das ist kein Berliner Spezialproblem, über das man hier rumjammern sollte, wie es einige von Rot-Rot tun, sondern das ist dann ein Problem der gesamten Republik, zu dem die gesamte Republik ihre Beiträge wird leisten müssen. Sie stattdessen stellen sich hin und sagen: Solidarisch sind wir im Geldausgeben, jetzt antizyklisch. Solidarisch dabei, den Schaden anschließend aufzuräumen, sind wir nicht. Bis 2020 ausgeglichene Haushalte anzustreben, machen wir nicht mit.
 
Das führt mich dann zu dem Antrag, den  Herr Thärichen wahrscheinlich wie immer höchst engagiert vertreten wird. Das einer der verrücktesten Anträge, den ich je gesehen habe, der uns da auf dem Tisch liegt. Wenn ich Sie gestern richtig verstanden habe, dann soll Herr Wowereit morgen den neuen Artikel 109 Grundgesetz ablehnen und dem Artikel 143 d Grundgesetz dafür aber zustimmen. Was bedeutet das denn jetzt? – Dann müsste der Herr Wowereit morgen folgendes absurdes Schauspiel bieten. Er müsste erstens gegen den Satz stimmen:
 
„Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Artikels 104 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.“

Das ist doch irre, die deutsche Hauptstadt wendet sich gegen die Gründung der Europäischen Gemeinschaft wegen der Maastricht-Kriterien, die darin stehen. Er müsste zweitens, alles in Artikel 109, gegen den Satz stimmen:

„Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahme aus Krediten auszugleichen.“

Er müsste dagegen stimmen, dass dabei das konjunkturelle „Auf und Ab abweichend von der Normalentwicklung“ zu berücksichtigen ist, dass der Haushalt mit der Konjunktur atmen soll. Stattdessen reden Sie von Verschuldungsverbot, das steht da gar nicht drin. Außerdem müsste Herr Wowereit dagegen stimmen, dass eine Ausnahmeregelung „für außergewöhnliche Notsituationen“ geschaffen wird, „die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Das ist nun genau der Ausnahmetatbestand, den wir momentan in Anspruch nehmen und auf dessen Grundlage wir hier z. B. unsere Schulreform finanzieren mit Bundesgeld. Gegen all das müsste Herr Wowereit stimmen.
 
Dafür dürfte er aber in Artikel 143 d dafür stimmen, dass das Land Berlin 80 Millionen Euro jährliche Entschuldungshilfe von den anderen bekommt.

Das muss man sich mal vorstellen, was bei so einer Situation herauskäme, dass wir uns da hinstellen und sagen: Mitsparen tun wir nicht, aber Geld von euch, das wollen wir haben! Das ist abenteuerlich!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Herr Wowereit! Wenn Sie diesem Unsinn Folge leisten, machen Sie sich lächerlich. Und was schlimmer ist: Sie geben unsere Stadt Berlin, die Sie in der Ländervertretung repräsentieren, der Lächerlichkeit preis. Ich weiß noch nicht einmal, wie Sie Ihrer eigenen Bundespartei erklären wollen, dass der Lafontaineismus in Gestalt von Herrn Thärichen, Frau Kolat und Herrn Schneider, den großen Verfassungs- und Finanzexperten, inzwischen bis in den Saal 376 dieses Hauses schwappt, in dem die SPD-Fraktion zu tagen pflegt, und Sie dann deswegen im Bundesrat den Oskar machen müssen.

Ich hoffe einfach, um es damit zum Abschluss zu bringen, der Bundesrat erspart Berlin diese Blamage und lässt eine getrennte Abstimmung über das Paket gar nicht erst zu. Dann kann der Herr Wowereit sich mit dem einen Ja und dem anderen Nein wenigstens in eine schlappe Enthaltung retten, und der allerschlimmste Schaden für die Stadt ist abgewendet.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]



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