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von Jochen Esser, MdA - finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 21. Juni 2007, Haushalt und Bankgesellschaft

Herr Präsident, meine Damen und Herren
Herr Regierender Bürgermeister, zu Ihrer Geschichtsklitterung in Sachen Bankgesellschaft ist genügend gesagt worden. Ich habe von Ihnen auch nichts anderes erwartet, das kann mich nicht mehr aufregen.

Aber die haushaltspolitische Ruchlosigkeit, die sie gestern an den Tag gelegt haben, die treibt mir tatsächlich Zornesröte auf die Stirn. Für die sinnlose Schlagzeile eines einzigen Tages – „Ausgeglichener Haushalt schon 2008 statt wie geplant 2009“ – richten Sie einen gewaltigen Flurschaden an.

Denn kaum war Ihr Getöse „Berlin ist über der Berg“ im Bundestag angekommen, meldete sich der dortige Kulturpolitische Sprecher der CDU, Herr Börnsen, und forderte eine stärkere Beteiligung Berlins an der Hauptstadtkultur. „Jetzt kann Berlins Kulturchef und Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit aus dem Vollen schöpfen.“

Herr Wowereit, Sie sollten den „Spin Doctor“ auswechseln, der Ihnen zu dieser Art Schlagzeilenpolitik geraten hat. Oder wollen Sie, dass am Ende die Föderalismuskommission alle Überlegungen zur Entschuldungshilfe für Berlin - ob  von Herr Oettinger oder von Herrn Carstensen - endgültig beerdigt?

Ihre Aufgabe, Herr Wowereit, ist es nicht, hier Feierstunden abzuhalten. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass jeder in der Republik begreift, was die gesamte Berliner Bevölkerung schon lange weiss. Dass Berlin noch eine ganze Weile mit der Haushaltsnotlage leben muss und dass der gesamte Erlös aus dem Verkauf der LBB Euro für Euro in die Taschen der Fondsanleger wandern wird, die Anteile an den Immobilenfonds der ehemaligen Bankgesellschaft besitzen.

Das und nichts anderes ist der materielle Gehalt der sogenannten Risikoabschirmung. Und das ist und bleibt ein politischer Skandal bis zum heutigen Tag und darüber hinaus..

Und Sie sind gerade dabei ein neues Kapitel in der Skandalchronik zu schreiben. Denn die 4,6 Milliarden Euro, die sie für das Sondervermögen reservieren wollen, reichen zur Deckung der Kosten aus der Risikoabschirmung bei Weitem nicht aus. Die 1,1 Milliarden aus der Stillen Einlage gehören ohne jedes Wenn und dazu!

Und Herr Sarrazin, dass Sie diese billige Effekthascherei mitmachen, ja sogar mit betreiben, hat mich sehr enttäuscht. Das lässt darauf schließen, dass Sie geistig sich schon im Vorruhestand befinden und nur noch überlegen wie Sie sich einen guten Abgang verschaffen. Ob danach für andere und Jüngere wieder ein größerer werdendes Finanzproblem bekommen, ist Ihnen anscheinend – anders als früher -  inzwischen egal.

Und auch Sie, Herr Senator Wolf, sollten nicht einfach behaupten „mit dem Verkaufspreis kann die Risikoabschirmung gegenfinanziert werden“, wie sie es gestern getan haben. Das signalisiert Gedächtnisverlust oder vielleicht auch die neue Lust der Linkspartei am Geldausgeben zu Lasten der kommenden Generation. Sie haben wie ich 2002 im Vermögensausschuss an den zermürbenden Beratungen über die Risikoabschirmung teilgenommen und müssten es deshalb besser wissen.

Ich will Ihrem Gedächtnis gerne auf die Sprünge helfen. Damals haben wir natürlich sofort gefragt: Wie groß ist das praktische Ausfallrisikos aus der Garantie von 21,6 Milliarden Euro? Und die Antwort von Herrn Sarrazin und der Bank auf diese Frage lautete 3,7 Milliarden Euro reales Risiko.

Das hielten wir alle nicht für glaubwürdig. Denn am anderen Ende, so haben wir damals überlegt, stand eine Halbierung der Immobilienwerte gegenüber der Vereinigungseuphorie zu Buche, und folglich die Hälfte der 21,6 Milliarden auf dem Spiel.

Deshalb hat das Abgeordnetenhaus etwas sehr Kluges getan und auf Antrag der Grünen einstimmig beschlossen, die Bank möge uns mitteilen, wie hoch eine einmalige Kapitalerhöhung ausfallen müsse, wenn wir auf die Risikoabschirmung verzichten. Und die Antwort war 6 Milliarden Euro.

Diese 6 Milliarden Euro sind bis heute die einzig einigermaßen plausible Ankerzahl für die Kosten der Risikoabschirmung in einem Meer aus Kaffeesatzleserei.

Das hat auch die EU-Kommission nach monatelangen Prüfungen so gesehen und in Ihrem Beihilfebescheid den wirtschaftlichen Mindestwert der Risikoabschirmung festgelegt.

Später ging der Tanz rund um die Ankerzahl 6 Milliarden Euro munter weiter. Am 1.9 2005 brachte der Tagesspiegel einen Artikel mit der Überschrift „Bankenaffäre. Risiken steigen auf 7 Milliarden Euro!“ weil der Finanzsenator signalisiert hatte, das Risiko liege in dieser Größenordnung.

Der Jahresabschluss der BIH 2005, erhältlich im Handelsregister, enthält Haftungsverhältnisse von 12,7 Milliarden Euro zu denen in einen anderen uns vorliegenden Dokument erläutert wird, es handele sich um eine „Hochrechnung unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Inanspruchnahme nach einer Worst-Case-Ermittlung“. Also, um ein vom Handelsrecht gefordertes pessimistisches Szenario.

Optimistischer zeigte im April diesen Jahres ist der Chef der BIH, Herr Holbein, als er in den Zeitungen eine Schätzung von 6 bis 6,5 Milliarden Euro abgab. Herr Sarrazin wiederum erklärt letzten Freitag, es er rechne mit 4 bis 6 Milliarden, derweil uns nur ein paar Tage zuvor eine schriftliche Expertise aus dem Hause der Finanzverwaltung erreicht hat, die den erwarteten Schaden auf 7,1 Milliarden Euro beziffert.

Zwischen 3,7 und 12,7 Milliarden Euro ist alles dabei. Sie sind nicht glaubwürdig, wenn Sie jetzt sagen, wir wissen es jetzt ganz genau: 4,6 Milliarden Euro reichen unter allen Umständen für das Sondervermögen!

Wir befinden wir uns faktisch in der Lage eines Unternehmens, dass für drohende Verluste eine Rückstellung zu bilden hat. Und dafür gibt es im Handelsrecht eine ganz einfache gesetzliche Vorgabe. Und die lautet „Es ist vorsichtig zu bewerten“.

Ist es vorsichtig, angesichts der Spannweite der Angaben zwischen 3,7 bis 12,7 Mrd. und einem wahrscheinlichen Bedarf von 6 bis 7 Milliarden Euro, sich praktisch und irreversibel darauf festzulegen, dass die Rückstellung nicht mehr als 4,6 Milliarden Euro betragen soll?

Wenn wir den Verkaufserlös und die gesamte Stille Einlage in das Sondervermögen packen, sind wir mit 5,7 Milliarden Euro wenigstens in der Nähe dessen, was erforderlich ist.

Wenn wir dann doch 7 Milliarden brauchen, können wir zumindest sagen, wir haben unser Mögliches versucht. Und was wäre so schlimm daran, wenn ein paar Millionen Euro zuviel in der Rücklage wären? . Gar nichts. Im Gegenteil, das wäre gegenüber der nächsten Generation, der dieser Senat ohnehin 60 Milliarden Schulden übergibt, kein Schaden sondern nur fair.

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