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Ritt auf der Rasierklinge - zur Situation des Berliner Haushalts

Niemand kann mehr ausgeben als er einnimmt. Das Grundgesetz jeder Haushaltswirtschaft kann auch im Fall der Staatshaushalte nicht straflos außer Kraft gesetzt werden. Schulden aufzunehmen, geht allenfalls begrenzt und vorübergehend, aber nicht grenzenlos und dauerhaft. Diese Lektion haben alle in den letzten 10 Jahren mühsam lernen müssen. Wer dennoch gewohnheitsmäßig Schulden macht, weil ihm die Restriktionen des aktuellen Budgets lästiger sind als der Schuldenberg von morgen, gerät irgendwann in eine Notlage.

Im Unterschied zu Privatpersonen liegt bei Staaten die Grenze noch tragbarer Verschuldung weit genug weg, dass man der Illusion erliegen mag, es gäbe diese Grenze gar nicht. Doch wenn sie erreicht ist, holen die Gesetze der Haushaltswirtschaft auch staatliche Institutionen ein. Dann stehen schmerzhafte Aufräumarbeiten an, die Jahrzehnte dauern können.

Haushalt ohne Neuverschuldung

In diesen Aufräumarbeiten befindet sich Berlin seit 2001. Damals eskalierte die lange schwelende Finanzkrise und begrub die große Schuldenkoalition aus CDU und SPD unter sich. Seitdem ist Haushaltssanierung der kategorische Imperativ jeder Politik in Berlin. 2007 war deshalb ein gutes Jahr. Zum ersten Mal seit über 40 Jahren hat Berlin keine neuen Schulden gemacht.

Vieles kam dabei zusammen: Der strikte Sparkurs, happige Steuererhöhungen, die ungewöhnlich gute Konjunkturentwicklung und rund 740 Millionen Euro Vermögensaktivierung haben gemeinsam einen Haushaltsüberschuss von gut 100 Millionen Euro ermöglicht.

Was 2007 gelang, wird auch 2008 gelingen. Es sind eigentlich keine Ereignisse vorstellbar, die einen Tilgungsüberschuss verhindern werden. Doch damit verlassen wir schon die sichere Seite. Der gerade beschlossene Haushalt 2009 sieht eher wackelig aus, denn seine schuldenfreier Ausgang hängt ganz und gar davon ab, dass die vom Senat unterstellten Einnahmeerwartungen eintreten. Neue Sparmaßnahmen gibt es nicht.

Für 2010 ist sogar geplant, erstmals einen nachhaltig ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Dann sollen die laufenden Einnahmen die Ausgaben auch ohne Vermögensverzehr decken. Das strukturelle Defizit, das im Krisenjahr 2001 noch vier Milliarden Euro betrug, wäre dann komplett beseitigt.

Ob dieses große Ziel 2010 tatsächlich erreicht werden kann, ist jedoch höchst zweifelhaft. Die geltende Finanzplanung von Rot-Rot geht davon aus, dass die Ausgaben konstant gehalten und alle Einnahmesteigerungen zur weiteren Konsolidierung des Haushalts verwendet werden. Diese einfach klingende Formel beschreibt in Wahrheit einen Ritt auf der Rasierklinge. Denn die Rechnung des Senats setzt eine stetige wirtschaftliche und politische Entwicklung voraus, was dann doch arg theoretisch wirkt.

Konjunktur wird schwächer

Auf jeden Wirtschaftsaufschwung folgt erfahrungsgemäß ein Abschwung. Wer, wie der Senat, über längere Frist mit einem wohlgemuten Steuerwachstum von jährlich 3,4 Prozent plant, hat sich schnell verkalkuliert. Hinzu kommt, dass bei einer Wirtschaftskrise auch die konstante Ausgabenlinie nicht gehalten werden kann, weil die Sozialkosten wieder steigen.

Im Ergebnis rutscht der auf Kante genähte Berliner Haushalt im Falle eines Abschwungs sofort in neue Schulden mit der Folge einer bleibend höheren Zinslast. Das Szenario eines heraufziehenden Abschwungs ist in den vergangenen Monaten wahrscheinlicher geworden. Der jüngste Börsenkrach ist nur das Wetterleuchten.

Ende der Bescheidenheit

Auch sind die politischen Rahmenbedingungen nicht so stabil, wie von der Finanzplanung des Senats unterstellt. Im Augenblick entwickelt sich eine politische Situation, die als „Linksruck“ dramatisiert wird und in der Geschichte der Bundesrepublik schon öfter zu beobachten war.

Die Jahre des Aufschwungs gehen mit Rekordgewinnen der Unternehmen einher. Diese Beobachtung ruft das berechtigte Bedürfnis der Lohnabhängigen hervor, sich wenigstens nachträglich ihr Stück vom Kuchen zu sichern. Der Öffentliche Dienst will da nicht beiseite stehen und fordert Anschluss an die allgemeine Lohnentwicklung. Die daraus abgeleiteten Forderungen werden in den bereits beginnenden Abschwung hinein gestellt.

Da die Staatsfinanzen in Folge des vorangegangenen Booms - zumindest auf der Oberfläche – so gesund aussehen wie seit Jahren nicht, kommen auch alle anderen zurückgestauten Ansprüche an den Staatshaushalt wieder zum Vorschein. Die Ansprüche steigen in dem Augenblick, in dem die finanziellen Spielräume wieder enger werden.

Strukturell gesunde Unternehmen und Staatshaushalte haben damit nur ein vorübergehendes Problem. Langfristig können sie sogar Vorteile aus dem volkswirtschaftlichen Effekt ziehen, dass steigende Löhne und Staatsausgaben den Übergang von einer von Export und Investitionen getriebenen Konjunktur zu einem Wachstum ermöglichen, das vom Inlandskonsum getragen wird.

Das Berliner Problem ist bloß: Der Landeshaushalt ist nicht strukturell gesund. Der Berliner Haushalt dürfte zu den Akteuren gehören, die beim Ende der Bescheidenheit nachhaltig unter die Räder kommen.

Noch nicht über den Berg

Berlin ist finanziell noch nicht über den Berg. Die Einnahmen aus Steuern, Finanzausgleich, Zweckzuweisungen von Bund, Ländern und EU reichen neuerdings dazu aus, die regulären Ausgaben in Höhe von rund 18 Milliarden Euro zu decken. Das ist schön. Doch zusätzlich lasten leider die Schulden von 60 Milliarden Euro wie Blei auf dem Haushalt.

Das Dilemma lässt sich in zwei Zahlen fassen. Jahr für Jahr muss das Land wegen des Schuldenbergs circa 2,4 Milliarden Euro an Zinszahlungen zu den Banken und Privatanlegern tragen. Und diese 2,4 Milliarden Euro werden in Höhe von 2 Milliarden Euro aus den Bundeszuweisungen im Rahmen des Solidarpakts Ost bezahlt, der bis 2020 stufenweise auf Null gefahren wird. Ohne die zweckwidrige Verwendung der Solidarpaktmittel, die eigentlich für Investitionen gedachten sind, steht der Schuldendienst des Landes ohne Deckung da.

Um den Verlust von zwei Milliarden Euro Solidarpaktmitteln zu kompensieren, ist es rechnerisch erforderlich, dass die Einnahmen aus Steuern und Finanzausgleich in den nächsten 13 Jahren jährlich um ungefähr 1,5 Prozent stärker steigen als die Ausgaben Berlins.

Steigende Ausgaben unvermeidlich

Das ist solange unschwer zu bewältigen, wie die Ausgaben des Landes nicht steigen. Doch kann die Ausgabenlinie nicht dauerhaft konstant gehalten werden. Die Ausgaben des Landes Berlin werden in absehbarer Zeit wieder steigen müssen, nachdem die großen Sparschnitte gemacht worden sind. Und dann wird es eng.

Gemessen an der Erfahrung der vergangenen Jahre können wir im Mittelwert von 3 Prozent jährlichem Nominalwachstum der deutschen Wirtschaft ausgehen, das zur Hälfte aus realem Wachstum und zur anderen Hälfte aus Geldentwertung besteht. Des Weiteren können wir  - ohne neue Steuersenkungen - von der Faustregel ausgehen, dass sich ein Nominalwachstum von 3 Prozent mindestens in Steuermehreinnahmen von ebenfalls 3 Prozent umsetzt.

Nach Abzug der Solidarpaktmittel verbleibt folglich ein Verteilungsspielraum aus Mehreinnahmen von jährlich 1,5 Prozent – also etwa in Höhe der Inflationsrate. Das ist nicht gerade viel gemessen am objektiv unabweisbaren finanziellen Bedarf und erst recht zu wenig, wenn man die Forderungen zum Maßstab nimmt, mit denen der Landeshaushalt konfrontiert wird.

Solidarpakt fortsetzen

Allein die aktuellen Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften kumulieren sich zu einer Haushaltsbelastung von knapp einer Milliarde Euro und würden auf einen Schlag die rechnerisch möglichen Ausgabensteigerungen von 5 Jahren in Anspruch nehmen. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat sich deshalb in die Auseinandersetzung zwischen Senat und Gewerkschaften mit dem Vorschlag eingeschaltet, durch eine modifizierte Anschlussregelung des Solidarpakts im öffentlichen Dienst sicherzustellen, dass der Haushaltsnotlage Rechnung getragen und der unumgängliche Anstieg der Gehälter auf Bundesniveau stufenweise hergestellt wird.

Sondervermögen Klimaschutz

Der Sanierungsstau der öffentlichen Gebäude wird vom Senat mit 1,6 Milliarden Euro beziffert. Das sind die möglichen Ausgabensteigerungen von 7 Jahren. Gleichzeitig ist es keine Sparmaßnahme, die Gebäudesanierung weiter zu verschleppen. Unterlassene Instandhaltung stellt im Gegenteil eine besonders teuere Form der Verschuldung dar.

Um einer möglichen Klimakatastrophe zu entgehen, müssen zudem weltweit sehr schnell Energiesparmaßnahmen ergriffen werden. Was liegt näher, als die Gebäudesanierung in Angriff zu nehmen und zugleich energetisch auszugestalten? Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat deshalb vorgeschlagen, in den nächsten Jahren ein Sondervermögen Klimaschutz von einer halben Milliarde Euro aufzulegen, das die Umwelt durchgreifend entlastet und sich aus den gesparten Energiekosten in 10 bis 15 Jahren selbst refinanziert.

Bezirke angemessen ausstatten

Die Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr haben an den Tag gebracht, dass die Situation bei der gesundheitlichen Prävention, der sozialen und der pädagogischen Versorgung in den Bezirken mittlerweile kritisch ist. Gleichzeitig sind den Bezirken in den letzten Jahren zusätzliche Aufgaben zugewachsen, für deren Erledigung sie keine zusätzlichen Personal- oder Sachmittel erhalten haben. Im nächsten halben Jahr stehen deshalb die Mindeststandards für Leistungen der Bezirksverwaltungen und deren auskömmliche Finanzierung auf der Agenda des Abgeordnetenhauses.

Soziale Integration durch Bildung

Vom Ziel, mehr Chancengerechtigkeit durch bessere Bildung und individuelle Förderung herzustellen, ist Berlin noch weit entfernt. Dem Senat ist es bislang nicht gelungen, eine verlässliche Unterrichtsgarantie zu geben, die Zahl der Schüler ohne Abschluss relevant zu senken und möglichst alle Kinder bereits für den Kitabesuch zu gewinnen. Die breite Palette der erforderlichen Reformen wird ohne zusätzliche finanzielle Investitionen in das Bildungssystem nicht zu haben sein.

Haushaltspolitik bleibt eine Kunst

Die konkurrierenden Bedürfnisse, von denen hier nur die Wichtigsten genannt wurden, übersteigen die Finanzkraft Berlins bei Weitem. Unter ihnen zu vermitteln und zugleich die Sanierungserfolge zu verteidigen, bleibt die Kunst der Quadratur des Kreises, solange die Berliner Haushaltslage sehr viel schlechter ist als bundesweit üblich.

Gemessen an den Bundesländern, die in den letzten 20 Jahren solider gewirtschaftet haben, ist die Zinsbelastung des Berliner Haushalts um rund eine Milliarde Euro zu hoch. Gäbe es diese Last der Vergangenheit nicht, wäre der Verteilungsspielraum entsprechend größer. Berlin wäre aus der permanenten Haushaltskrise heraus und bei fortgesetzter Ausgabendisziplin auf der sicheren Seite.

Der Landeshaushalt bedarf daher unverändert einer Entschuldung in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro, wenn die Stadt Anschluss an die bundesweit übliche Ausgabenstruktur gewinnen will. Doch ein Rechtsanspruch auf entsprechende Entschuldungshilfe durch Bund und Länder ist Berlin bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht versagt worden.

Jetzt wird im Rahmen der Föderalismusreform II politisch darüber gestritten. In der Föderalismuskommission sollen strenge Verschuldungsgrenzen gezogen und zugleich allen Bundesländern ähnliche Startbedingungen in die neue schuldenfreie Ära gewährt werden. Bislang zeichnet sich als Schuldenhilfe bestenfalls eine bis 2020 begrenzte Entlastung bei den Zinszahlungen für Notlageländer ab. Die nachhaltig wirksame Hilfe, die Berlin so dringend braucht, wäre das nicht.

Jochen Esser, MdA – finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Berlin im  Februar 2008

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