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30. Oktober 2008 - Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender und Jochen Esser, finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen erklären:

Nach der Finanzkrise: Muss Berlin mehr sparen?

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise wird für den Berliner Haushalt Folgen zeitigen, die über die 300 Millionen Euro hinausgehen, die Berlin unmittelbar zur Rettung des Finanzsystems beitragen soll. Inzwischen zeichnet sich eine weltweite Wirtschaftskrise ab, weil die auf Pump gegründete amerikanische Nachfrage in Zukunft ausfällt. Das wird die auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft hart treffen und den Staatshaushalt mit Steuerausfällen sowie gleichzeitig steigenden Sozialkosten belasten.

Das beste Konjunkturprogramm: Investitionen in den Klimaschutz
Darauf unmittelbar mit harten Sparpaketen zu reagieren, ist angesichts der starren Haushalte gar nicht machbar und wäre ökonomisch auch verkehrt. Je nachdem wie tief die Krise ausfällt, können sogar staatliche Ausgabenprogramme zur Stabilisierung von Wirtschaft und Beschäftigung erforderlich werden.

Bündnis 90/ Die Grünen erneuern ihren Vorschlag, den erwarteten Überschuss des Haushalts 2008 (400 Mio. Euro aus dem Bankverkauf) nicht in die Schuldentilgung, sondern in ein Sondervermögen Klimaschutz fließen zu lassen. Zusammen mit Vorzugskrediten der KfW lässt sich damit ein Sanierungsprogramm für den öffentlichen Gebäudebestand von rund einer Milliarde Euro anschieben, das sich durch eingesparte Energie selbst refinanziert und in Berlin mehrere Tausend Arbeitsplätze sichert.

Energetische Gebäudesanierung ist in der derzeitigen Situation das beste Programm zur Stützung von lokaler Wirtschaft und Beschäftigung. Anders als Steuersenkungen kommt dieses Geld zielgenau in der lokalen und inländischen Wirtschaft an und dient zugleich einer nachhaltigen Finanzpolitik und der Entlastung unserer Umwelt.

Die Haushaltssanierung zu Ende bringen
Von einer solchen zielgerichteten Maßnahme strikt zu unterscheiden sind die strukturellen Ausgabenüberhänge des Berliner Haushalts, die schon vor und unabhängig von der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise existiert haben. Sie sind auch weiterhin als solche zu benennen und abzubauen. Bündnis 90/ Die Grünen wenden sich deshalb gegen den Versuch der Linkspartei, die Finanzkrise als Vorwand zu benutzen, die Sanierung des Berliner Haushalts endgültig aufzugeben.

Das strukturelle Defizit von 535 Millionen Euro im Berliner Haushalt 2008 lässt sich nicht mit dem Hinweis auf "konjunkturell bedingte Einbrüche bei den Steuereinnahmen" (Carl Wechselberg - LINKE) wegdiskutieren, die noch gar nicht eingetreten sind. Keynes dürfte sich angesichts des Etikettenschwindels im Grabe umdrehen, mit dem die Berliner Linke versucht, ein bereits vorhandenes Haushaltsdefizit zu einer Maßnahme gegen die heraufziehende Wirtschaftskrise zu verklären.

Tatsächliche Ursache des Defizits ist, dass Finanzsenator Sarrazin das selbst gesetzte Ziel verfehlt hat, die Primärausgaben im Jahr 2008 unter das Niveau von Hamburg zu drücken. Stattdessen sah bereits das Plansoll für 2008 334 Millionen Euro Mehrausgaben im Vergleich zu Hamburg vor. Im laufenden Jahr hat Sarrazin dann im Haushaltsvollzug weitere 262 Millionen Euro Mehrausgaben zugelassen, die uns dauerhaft begleiten werden.

Der Senat hat sodann im blinden Vertrauen auf weiter sprudelnde Steuereinnahmen draufgesattelt und im Sommer für den Haushalt 2010/ 2011 Mehrausgaben von 475 Millionen Euro (315 Mio. Euro Personal und 160 Mio. Euro für die Kitas) beschlossen. Ausgabenkürzungen zur Gegenfinanzierung sind nicht vorgesehen, weil mit der Linkspartei keine Sparmaßnahme mehr zu machen ist.

Insgesamt ist nun ein Konsolidierungsbedarf von rund 1 Milliarde Euro Primärausgaben entstanden, der mittelfristig aufgearbeitet werden muss. Die Haushaltsplanung von Rot-Rot war schon verantwortungslos bevor die Finanzkrise sie endgültig pulverisierte.

An Berlin darf die Föderalismusreform nicht scheitern
Sarrazins Sparrhetorik ist nur noch eine "One-man-show". Die Mehrheit in der Koalition aus SPD und Linkspartei folgt ihm nicht mehr und möchte lieber Geld verteilen - selbst wenn es nicht vorhanden ist.

Rot-Rot fürchtet deshalb ein Ergebnis der Föderalismuskommission II wie der Teufel das Weihwasser. Vor allem die Linkspartei verzichtet lieber auf 300 Millionen Euro Schuldenhilfe pro Jahr, als dass sie im Gegenzug einer Schuldenbremse zustimmt. Ihr Vorsitzender Klaus Lederer sagt dazu: "Wir lassen uns die Freiheit einer selbstbestimmten Haushaltspolitik nicht abkaufen."

Der Regierende Bürgermeister Wowereit fürchtet um den Fortbestand seiner Koalition. In der Süddeutschen Zeitung und in der Regierungserklärung zur Finanzkrise hat er daraufhin selbst eine destruktive Haltung zu den Zielen der Föderalismusreform eingenommen und zum Problem der Schuldenbremse erklärt: "Das ist aus meiner Sicht jetzt kein Thema mehr."

Mit dieser Behauptung ist er auf entschiedenen öffentlichen Widerspruch der Landesregierungen von Bremen, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt gestoßen. Es wäre auch zu verrückt, wenn die Kommission nach zwei Jahren Arbeit beim ersten heftigen wirtschaftlichen Sturm die Segel streicht, obwohl sie kurz vor dem Ziel steht, eine Antwort auf 40 Jahre währende Versäumnisse in der deutschen Haushaltspolitik zu geben.

In der Föderalismuskommission zeichnet sich ein tragfähiger Kompromiss zu den Themen Schuldenbremse und Entschuldungshilfe ab, der an Berlin nicht scheitern darf. Der Regierende Bürgermeister wird das Wohl des Landes und unserer Stadt im Auge haben müssen und nicht das der Linkspartei. Ein erneutes Einknicken vor dem kleineren Koalitionspartner wie bei der Abstimmung über den EU-Reformvertrag kann es nicht geben.

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