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PRESSEMITTEILUNG der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, Datum: 12. Jamuar 2011 - Jochen Esser, finanzpolitischer Sprecher und Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende, sagen zur Finanzplanung des Senats:

Jahr der Wahrheit

2011 ist nicht nur das Jahr der Wahl zum Abgeordnetenhaus, bei der politisch abgerechnet wird. 2011 ist auch das Jahr, das Klarheit über die finanzielle Situation Berlins bringen soll.

  • Im Februar werden Bund und Länder die Berechnungsweise des strukturellen Defizits der Bundesländer festlegen. Erst dann können die Konsolidierungsschritte genau beziffert werden, die Berlin in der nächsten Legislaturperiode jährlich umsetzen muss.
  • Der "Evaluationsausschuss" des Stabilitätsrats wird darüber beraten, ob Berlin dem Bund und den anderen Ländern ein Sanierungsprogramm über fünf Jahre vorlegen muss.
  • Gleichzeitig muss der rot-rote Senat bis zur Sommerpause einen Haushalt für 2012 aufstellen und sich auf eine Finanz- und Investitionsplanung bis 2015 festlegen.


Windige Haushaltsplanung

Allerdings zeigt die gegenwärtige Regierungskoalition keinerlei Interesse, finanziell klare Verhältnisse zu schaffen. Haushaltswahrheit bedeutet auch Klarheit über die politischen Prioritäten. Doch die darin liegende Beschränkung für Wahlversprechen fürchtet Rot-Rot mehr als alles andere. Stattdessen stellen SPD und Linkspartei vieles in Aussicht, genaues wird nicht benannt, geschweige denn ausfinanziert.

Der Senat lehnt es ab, einen Nachtragshaushalt für 2011 vorzulegen und bereits 2011 mit der Haushaltskonsolidierung zu beginnen. Stattdessen soll der "Wohlfühlhaushalt" 2011, wie ihn Finanzsenator Nußbaum selber nennt, ungeschmälert weiter gelten. Alle praktischen Schritte zur Haushaltssanierung werden auf die Zeit nach der Abgeordnetenhauswahl geschoben und dem neuen Senat aufgebürdet.

Nach der Wahl sollen dann 2012 und 2013 Ausgaben in Höhe von 400 Millionen Euro gekürzt werden. So die Ankündigung von Finanzsenator Nußbaum zur Haushaltsaufstellung 2012/2013. Dieser Haushaltsentwurf könnte durchaus aufschlussreich werden. Allerdings wird niemand das Dokument ungefiltert zu Gesicht bekommen, weil der Senat seinen Entwurf dem Abgeordnetenhaus nicht zuleiten will. Es handelt sich um einen Haushaltsplan im Verborgenen. Transparenz sieht anders aus.

Gültige Beschlusslage von Rot-Rot sind im Augenblick nur ein in Einnahmen- und Ausgaben-überholter Haushaltsplan 2011 und eine Finanz- und Investitionsplanung, deren Spalten für 2014 leer sind.

Diese Vorgehensweise ist kein Zufall. Hätte der Senat – wie eigentlich verfassungsrechtlich geboten – eine mit Maßnahmen unterlegte Finanz- und Investitionsplanung aufgestellt, würde politisch klar, wohin die Reise gehen soll und wo die Prioritäten von SPD und Linkspartei liegen.

Genau das wollen SPD und Linkspartei aber vermeiden. Die Wählerinnen und Wähler sollen nicht genau wissen, woran sie mit diesen Parteien sind.

Rot-Rote Luftnummern

Lieber setzen SPD und Linkspartei immer neue Projekte in die Welt, die in der Finanz- und Investitionsplanung des Senats nicht vorgesehen sind. Rot-Rot betreibt ein schamloses Spiel mit doppeltem Boden.

Investitionen, aber welche?

Wollen SPD und Linkspartei das ICC sanieren oder eine neue Landsbibliothek bauen? Will Rot-Rot den Tierpark umgestalten oder eine Kunsthalle errichten lassen? Wird es einen Nachschlag für die Charité geben, oder wird die Komische Oper saniert?

Dass diese Investitionsversprechen nicht gleichzeitig gehen, wird angesichts des Finanzrahmens auf einen Blick offenkundig. Und wie verhalten sich diese Wunschplanungen zum Willen des Finanzsenators, im Doppelhaushalt 2012/ 2013 erst gar keine Neubeginner zuzulassen?



Rekommunalisierung über Heuschreckenfinanzierung?

Woraus bitte wird die milliardenschwere Einkaufstour finanziert, die SPD und Linke unter dem Stichwort "Rekommunalisierung" zu ihrem Wahlkampfschlager erklärt haben? Auf dem Einkaufszettel des SPD-Parteitags im November 2010 finden sich die Wasserbetriebe, das Gas- und Stromnetz, die Stromerzeugung, die S-Bahn, die GSG, die Wohnungsbestände der BIH sowie private Miethäuser in sozialen Brennpunkten.

Im Landeshaushalt gibt es kein Geld für diese Verstaatlichungsprojekte und unter den Bedingungen der Schuldenbremse wird es auch zukünftig keine Haushaltsmittel dafür geben.

Es stellt sich die Frage, ob SPD und Linkspartei tatsächlich vorhaben, in der Größenordnung von sieben Milliarden Euro und mehr zur sogenannten  "Heuschreckenfinanzierung" zu greifen: Für den Rückkauf wird ein Kredit aufgenommen, die Schulden für den Kaufpreis werden auf das erworbene Unternehmen übergewälzt. In Wowereits Worten: Der Kauf kann "aus der Rendite des Unternehmens finanziert werden".



Bei jedem Rückkauf kommt es am Ende auf die Abwägung zwischen Kosten und den Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger an. Bis heute sind SPD und Linke die Antwort auf die Frage schuldig, was sich für die Bürgerinnen und Bürger durch die milliardenschwere Rückverstaatlichung im Einzelfall ändern und verbessern soll. Was ist die Idee, was sind die Konzepte hinter dem Verstaatlichungsziel?

Aus unserer Sicht sollte im Idealfall Anderes und Neues entstehen, um erklärte politische Ziele besser umsetzen zu können, wie es beim grünen Klimastadtwerk der Fall ist. Mindestens sollten niedrigere und sozial gerechtere Preise, eine umweltbewusstere Investitionstätigkeit und eine Verlässlichkeit der Angebotsbereitstellung dabei herauskommen, wenn man über die Wasserversorgung und den Öffentlichen Nahverkehr diskutiert.

Wahlen sind kein Gauklerfest

Und wie bitte passt das alles mit der diametral entgegengesetzten Ankündigung des Finanzsenators zusammen, ab 2012 zusätzlich und dauerhaft 400 Millionen Euro einzusparen?

Es passt gar nicht zusammen. Schon ein oberflächlicher Blick auf den Finanzrahmen zeigt eindeutig, dass nur ein Bruchteil der von Rot-Rot angekündigten Projekte Wirklichkeit werden kann.

Der regierende Wahlkämpfer Wowereit aber will gar keine Entscheidungen mehr vor der Wahl treffen. Er lässt die Dinge bewusst in der Schwebe, um den Berlinerinnen und Berlinern vorzugaukeln, er könne alle rot-roten Wahlversprechen einlösen, die in der Öffentlichkeit kursieren.

Wowereit gleicht einem Jongleur, der zwei Dutzend Bälle in die Luft geworfen hat und genau weiß, dass er sie nicht alle auffangen kann. Er setzt darauf, dass die überzähligen Bälle erst nach Ende der Vorstellung – sprich nach dem Wahltermin – für alle sichtbar zu Boden plumpsen.

So etwas nennt man Wahlbetrug. Denn eine demokratische Wahl ist kein Gauklerfest!

Grüne Aussichten

Berlin braucht Transparenz und Klarheit und keinen Senat, der angstvoll auf den Wahltermin starrt und deshalb die Notwendigkeiten des Regierens verweigert.

Berlin braucht finanzpolitische Entscheidungen, die zeigen, dass 2011 kein verlorenes Jahr für die Konsolidierung ist.

Bündnis 90/ Die Grünen fordern, dass für 2011 ein Nachtraghaushalt aufgestellt und im Parlament beraten wird. Dann müssen alle Parteien die Karten auf den Tisch legen. Die Alternativen würden klarer. Ein Wahlkampf der leeren Wahlversprechen würde damit verhindert. Und die Berlinerinnen und Berliner wüssten am Wahltag, woran sie sind.

Drei Beispiele, wie es besser geht

Bündnis90/ Die Grünen schreiben keine Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Wir setzen dort an, wo die erforderlichen Eigenmittel ohnehin im Haushalt stehen.

Klima-Stadtwerk
Eine der zentralen klimapolitischen Herausforderungen ist die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes. Insbesondere in öffentlichen Gebäuden ist hier in den letzten Jahren viel zu wenig passiert. Selbst die dafür vorgesehenen Mittel aus dem Konjunkturpaket II des Bundes hat der Senat teilweise zweckentfremdet.

Hier kann ein effektiv arbeitendes kommunales Unternehmen, das mit einem Teil der Mittel zum Gebäudeunterhalt ausgestattet wird und den energetischen Sanierungsanteil über die Einsparung beim Verbrauch und die Einspeisung selbst erzeugter Energie refinanziert, deutlich mehr für den Klimaschutz erreichen.

Mit diesen Investitionen kann das Land den Energiemix in Berlin Schritt für Schritt wirksam beeinflussen. Zum einen, indem es den Verbrauch fossiler Energien reduziert, zum anderen, indem es erneuerbare Energien und Blockheizkraftwerke baut und damit in die Energieproduktion einsteigt.

S-Bahn
Nach zwei Jahren S-Bahn-Chaos und dem Eingeständnis der Bahn, dass sie keine Lösung für dieses Chaos hat, ist es höchste Zeit zum Umsteuern. Berlin darf sich nicht länger auf Gedeih und Verderb an den Monopolisten Bahn binden. Deshalb muss der Senat möglichst rasch die Ausschreibung des S-Bahn-Betriebs auf den Weg bringen.

Die Verantwortung für die Infrastruktur, für die Züge  und deren Verlässlichkeit soll zukünftig nicht mehr dem Betreiber überlassen werden. Deshalb setzen wir uns nach den schlechten Erfahrungen mit der Deutschen Bahn für den Aufbau eines landeseigenen Wagenparks über eine Infrastrukturgesellschaft ein.

Sowohl bei einer Ausschreibung des S-Bahn-Betriebs, wie auch bei einer Direktvergabe an die BVG, die von Rot-Rot diskutiert wird, muss die Anschaffung der Züge vom Land Berlin vorfinanziert werden. Über die so genannten Regionalisierungsmittel, die zur Zeit sowohl BVG wie auch S-Bahn erhalten und ergänzender Kreditfinanzierung kann diese Investition getätigt werden.

Wohnungsbestände
Warum verweigert sich Rot-Rot seit Jahren dem Vorschlag, Objekte des privaten sozialen Wohnungsbaus zu erwerben, die vom Entzug der Anschlussförderung betroffen sind? Inzwischen stehen im Haushalt 200 Millionen Euro Bürgschaftskosten, die unvermeidlich fällig werden, wenn Objekte des sozialen Wohnungsbaus wegen des Entzugs der Anschlussförderung notleidend oder insolvent werden.

Anstatt diese 200 Millionen Euro au fonds perdu den Banken und Hausbesitzen hinterher zu werfen, ist es tausendmal besser, sie zum Erwerb der Objekte einzusetzen – spätestens in der Zwangsversteigerung. Berlin erhielte auf diese Weise einen Gegenwert für seine ohnehin fälligen Zahlungen und würde soziale Mieten in allen Stadtteilen sichern.

Solange sich SPD und Linkspartei nicht einmal dazu aufraffen, sollten sie von Mieterschutz, Daseinsvorsorge und Rekommunalisierung lieber schweigen. Denn der Erwerb von Objekten des privaten sozialen Wohnungsbaus ist im Unterschied zu manch anderer Schnapsidee umsetzbar.

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