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Parlamentarische Rede von Jochen Esser Abgeordnetenhaus von Berlin –  16. Wahlperiode, 22. Sitzung vom 06. Dezember 2007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich halte mich erst einmal an die Vorgabe unseres großen rauchenden Vorsitzenden und beginne mit dem Positiven. Alle, die solide Staatsfinanzen wollen, haben diesmal Glück gehabt, denn der Geldsegen ist schneller über Berlin hereingebrochen, als die Fachverwaltungen und die Koalition das Geld ausgeben konnten. Im Endeffekt fährt der Haushalt deswegen einigermaßen gerade aus, und das ist gut so.  

[Beifall bei den Grünen]

Die Beratungen haben aber auch gezeigt, es wird schwieriger, die Linie zu halten. SPD und PDS haben sich und uns mit fast 50 Änderungsanträgen im Kleinstformat in Atem gehalten.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

- Herr Zackenfels hat es mir leider zu meinem Leidwesen nicht erspart, die hier noch einmal zur Hälfte vorzulesen - und sich dabei gestritten wie die Kesselflicker nach dem Motto: Kriegst du deine DGB-Beratungsstelle, kriege ich meinen Lette-Verein. Kriegst du deinen Mütterkurs, kriege ich meine Verkehrserziehung usw. – Da war jetzt nichts Schlimmes dabei, aber amüsant war das auch nicht. Und, Herr Zackenfels, ehrlich gesagt: Einen Applaus ist das auch nicht wert.  

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)] 

Geld in die Hand zu nehmen, schrieb heute der „Tagesspiegel“ sei ein legitimes Verlangen, aber nur, solange zwischen sinnvollen Investitionen in die Zukunft Berlins und kostspieliger Lobbyarbeit für die eigene Wählerklientel sorgfältig unterschieden werde. 

Das ist bei Ihren Änderungsanträgen wahrlich nicht immer der Fall.

Den echten, großen Reformvorschlag, wie wir ihn Ihnen zum Thema „Sanierungsstau auflösen und den Klimaschutz voranbringen“ unterbreitet haben, haben Sie nicht zuwege gebracht. Es ist offensichtlich, dass wir einen Sanierungsstau bei öffentlichen Gebäuden in Höhe von 1,6 Milliarden € haben. So beziffert es der Senat. Es ist keine Sparmaßnahme, ihn weiter zu schleppen, weil unterlassene Instandhaltung eine besonders teure Form der Verschuldung darstellt.  

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Meyer (FDP)]

Gleichzeitig, das wissen wir alle, stehen wir vor einer globalen Herausforderung, die vor Ort bekämpft werden muss. Die globale Herausforderung besteht in einer relativ raschen grundlegenden Umsteuerung in der Energiepolitik, um einer möglichen Klimakatastrophe zu entgehen. Was liegt näher, als diese beiden Aufgaben zu verbinden, die Gebäudesanierung in Angriff zu nehmen, sie energetisch auszugestalten und damit langfristig etwas für den Haushalt zu tun, indem die Betriebskosten gesenkt werden.

[Beifall bei den Grünen] 

Wir hatten Ihnen vorgeschlagen und tun es immer noch, ein Investitionsprogramm von einer halben Milliarde Euro aufzulegen, womit man eine CO2-Einsparung von 3 Prozent des gesamten Berliner CO2 pro Jahr erreicht. Das bedeutet eine Kostenersparnis von etwa 50 Millionen € pro Jahr an Energiekosten für den Haushalt. Laut Handwerkskammer werden rund 2 000 Vollzeitarbeitsplätze geschaffen – und zwar nicht in Ihrem ÖBS, Frau Knake-Werner, sondern auf dem ersten Arbeitsmarkt.  

[Beifall bei den Grünen]

Nun komme ich zu dem Thema von Herrn Müller. Er stellt sich hier hin und sagt, wir hätten doch 50 Millionen € für die Bäderbetriebe bereit gestellt. Wir alle wissen, dass dieser Betrag allein für die Sanierung der Dächer und die notwendigen hygienischen Maßnahmen benötigt wird. Damit gibt es keine einzige energetische und umweltpolitische notwendige Maßnahme. 

Deswegen erhalten Sie auch keine einzige Betriebskostensenkung bei diesen Energieschleudernhallen. Wir werden schlichtweg wieder über Bäderschließungen diskutieren müssen. Soweit ich das mitbekommen habe, sind Sie in der SPD schon dabei, darüber sprechen zu müssen. 

Es ist alles halbherzig, was Sie an Investitionen und Instandhaltungsprogrammen hier vorgeschlagen haben. Sie bringen es aber dann fertig, über ein Vierteljahr der Debatten – ich komme nun zu meinem eigentlichen Thema – kein einziges Argument in den Ausschüssen oder den Beratungen in zwei Plenarsitzungen gegen diesen Vorschlag vorzubringen. Sie weigern sich einfach arrogant und bräsig. 

Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mit Ihnen noch Haushaltsberatungen führen soll, wenn man nicht mehr miteinander argumentieren kann. Diese Diskussionskultur finde ich unmöglich. Das ist für mich eine zentrale Erfahrung in dieser Haushaltsberatung. Das war früher anders und besser. 

[Beifall bei den Grünen] 

Davon bin ich schlichtweg enttäuscht. Deswegen haben wir heute auch einen Zeitplan, in dem die Finanzexperten nachts um 23.00 Uhr über den Haushalt reden und der Finanzsenator in der tiefen Nacht versenkt wird. Vielleicht fürchten Sie, er würde wieder spontane Äußerungen tätigen. Stattdessen findet hier die vierte Aktuelle Stunde zum Thema Schließung des Flughafens Tempelhof statt. Ich bin sauer über alle Finanzleute hier im Haus, die sich so etwas gefallen zu lassen. Zudem wird die Haushaltsberatung noch durch 10 andere Tagesordnungspunkte unterbrochen. Da nimmt sich das Parlament selbst mit seinem Königsrecht nicht mehr ernst.

 [Beifall bei den Grünen]

Ich gebe ein anderes Beispiel. Wir schreiben ausgeglichene Haushalte. Darauf sind wir doch so stolz. Ich habe Sie in der Haushaltsberatung gefragt, warum wir dem Senat dann 4,3 Milliarden € Kreditermächtigungen geben müssen. Warum? Es sind 1,1 Milliarden € Restkreditermächtigung aus Vorjahren, 2,7 Milliarden € Kassenkredite, 400 Millionen € Vorgriffsermächtigungen. Dazu kommt noch das innere Darlehen. Das habe ich jetzt noch gar nicht mitgerechnet. Ziel gewählter Abgeordnete muss sein, den Senat an der kurzen Leine zu führen. Was aber machen Sie? Ich frage Sie einmal, ich frage Sie zweimal. Da gibt es einfach nur trotziges Schweigen von der ganzen Koalitionsbank auf der anderen Seite. Sie verstehen sich als Schild und Schwert des Senats und nicht als selbstbewusste Parlamentarier.

 [Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

– Ja, da klatscht Herr Wowereit. Wissen Sie, Herr Wowereit, ich habe auch eine nette Vergangenheit und weiß, in der Tradition der Arbeiterbewegung und der Linken ist der demokratische Zentralismus tief verankert, von der Gewerkschaft bis zum Kommunisten. Das heißt aber nicht, dass man hier auf diese Art und Weise die Rollenteilung zwischen Parlament und Senat in der Haushaltsfrage aushebelt.

 [Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ein weiteres Beispiel, warum mit Ihnen eine Diskussion kaum noch sinnvoll ist, Herr Zackenfels, ist unsere Nachtragsdebatte vom 11. Oktober. Wir haben darauf hingewiesen, dass Sie so viel Geld im Haushalt verstecken – das tun Sie auch dieses Mal wieder –, dass wir auf jeden Fall einen ausgeglichenen Haushalt schreiben können, vielleicht sogar einen Haushalt mit Überschüssen – wir sprachen von 100 Millionen €.. Wir haben einen entsprechenden Antrag von allen Oppositionsfraktionen vorgelegt. Nun zitiere ich, wie Sie darauf geantwortet haben, das traf in diesem Fall den Kollegen Goetze: „Sie fordern hier eine Null, Herr Goetze. Sie wollen eine Null bei der Netto-Kreditaufnahme. Das ist lächerlich. Das ist wirklich schlichtweg lächerlich. Mit solchen Anträgen katapultieren Sie sich ins Nirwana der haushalterischen und finanzpolitischen Träumereien.“ 

Die SPD hat zu diesen Ausführungen geklatscht. Das war am 11. Oktober. Sechs Wochen später am 20. November kommt der Finanzsenator mit der Erklärung, der Haushalt 2007 – genau wie wir es gesagt haben – schließt mit etwa 70 Millionen € plus ab. Ich sage Ihnen schon heute voraus, dass es bei 70 Millionen € nicht bleiben wird. Angesichts solcher Tatsachen kann man mit Ihnen gar nicht mehr diskutieren. Es hat hier Zeiten einer anderen Diskussionskultur gegeben. Sie haben das aber einfach wahrheitswidrig gesagt und behauptet. Das trifft auch auf vieles zu, was heute hier in diesem Saal wieder gesagt wurde.  

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Dieselbe Nummer erlebte ich im Hauptausschuss bei der Diskussion über den Zinstitel. Ich sagte: er kommt mir verdächtig hoch vor. Wenn ich alles zusammenrechne – ich habe versucht zu argumentieren –, ist der Ansatz zu hoch. Daraufhin erklärte der Finanzsenator Sarrazin laut Inhaltsprotokoll, er bezweifle, dass der Abgeordnete Esser die Zinsentwicklung besser als SenFin einschätzen könne und bietet mir einen zehnminütigen Vortrag über alle möglichen Zinssätze der einzelnen umzuschuldenden Tranchen und die Zinserwartungen. Das war die Art, wie Sie eine erste Lesung führen.  

Wir sagten nun, wir stellen trotzdem einen Antrag auf Senkung. Ehe wir den Antrag jedoch stellen konnten, hatten Sie sich mit der Nachschiebeliste 40 Millionen € aus dem Zinstitel geholt. Mit dem heutigen vor uns liegenden Antrag wollen Sie noch einmal 20 Millionen €. 

In den Sitzungen jedoch erzählen Sie mir, dass sei alles völliger Blödsinn. Alle meine Schätzungen und Berechnungen seien völlig falsch. Der Finanzsenator habe gesagt, die Ansätze seien angemessen. Diese Aussagen haben eine Halbwertzeit von zwei Wochen. Das ist keine Beratung und keine Diskussion mehr miteinander auf einer seriösen Grundlage. Wir können das auch gleich einstellen und nur noch abstimmen, ohne miteinander zu reden, weder im Ausschuss noch hier.

 [Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Sie haben auf diese Art und Weise wieder dreistellige Millionenbeträge in diesem Haushalt gebunkert. Unser Antrag zielt darauf, diese abzuräumen. 

Ich sage Ihnen noch einmal, warum das gut so ist. Erstens ist das Parlament per Haushaltsrecht verpflichtet, eine realistische Veranschlagung vorzunehmen. Zweitens dürfen der Exekutive keine Freibriefe für die Haushaltswirtschaft gegeben werden. Vielmehr soll das Parlament seine Rechte selbstbewusst wahren. Drittens weckt das Vorhandensein solcher Reptilienfonds Begehrlichkeiten. Ein Beispiel haben wir heute schon erlebt. Es geht um Frau Knake-Werner mit ihrem ÖBS. Es wird ein Programm mit einem Volumen von 160 Millionen € aufgelegt. Uns wird gesagt, es gebe eine 75prozentige Bundesfinanzierung, also 120 Millionen € vom Bund. Dazu haben wir schon in der Ausschussberatung gesagt – Moment! –dort steht: „bis zu 75 Prozent“.

Es ist überhaupt nicht heraus, ob Sie die 120 Millionen € überhaupt bekommen. Jetzt kommen laut Zeitung weitere Schwierigkeiten hinzu, die bereits absehbar waren. Das bedeutet, statt 120 Millionen € Fremdfinanzierung bekommt man vielleicht nur 80 Millionen € oder 100 Millionen €. Jetzt lautet die interessante Frage, wer die Differenz zahlt. 

Dazu hat die Sozialsenatorin bereits heute – der Haushalt ist noch gar nicht beschlossen – in der Zeitung mit den Nachtragshaushaltsverhandlungen begonnen und frisches Geld gefordert. 

Wir haben Ihnen dazu vorgeschlagen, das Parlament soll seine Verantwortung wahrnehmen und wir legen auf den Ansatz für ÖBS eine qualifizierte Sperre, sodass wir je nach Entwicklung die Verantwortung dafür tragen, ob wir die Summe freigeben oder ob der Beschäftigungssektor ein bisschen kleiner werden muss. Das haben Sie abgelehnt. Sie lassen lieber den Finanzsenator allein im Regen stehen, er soll sehen, wie er mit diesem Problem fertig wird. Sie nehmen einfach die parlamentarische Verantwortung von Haushaltsberatungen in jeder Hinsicht nicht wahr.  

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Das wollte ich Ihnen nachts um 23 Uhr sagen, denn jetzt lohnt es sich nicht mehr über sonstige Inhalte – Verfassungsfragen, Risikoabschirmung und anderes – zu reden. Ich sage Ihnen: Solch ein Beratungsstil ist schlecht. Der war zu Zeiten, als alles angespannt war, sehr viel besser, weil wir alle an den Problemen gearbeitet haben. Dieser Stil der Haushaltsberatungen gehört zu Ihrer Sorglosigkeit. Auf solche Haushaltsberatungen können wir eigentlich verzichten, weil sie keine wirkliche argumentative Auseinandersetzung mehr darstellen. Ansonsten wird mit dem ganzen Ärger, den das nach sich zieht, der Finanzsenator allein fertig werden müssen. Dass dieser nicht mehr die notwendige Rückendeckung des Regierenden Bürgermeisters hat,

 [Klaus Wowereit (SPD): Hat er!]

pfeifen die Spatzen von den Dächern. Schauen wir einmal, wie sich das entwickelt. Ich sehe für die Jahre ab 2010 schwierige Zeiten auf uns zukommen.

 [Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]



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