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ICC sanieren oder abreißen?

  Berlin ist ein bedeutender internationaler Kongressstandort. Nach Teilnehmern liegt Berlin hinter Barcelona, Wien und Singapur weltweit auf Platz Vier.
Das ICC spielt dabei eine wichtige Rolle – insbesondere für Großkongresse – und ist in den letzten Jahren mehrfach als bestes Kongresszentrum der Welt ausgezeichnet worden. Das ICC ist ein Multifunktionszentrum für Kongresse, Tagungen, Ausstellungen und Veranstaltungen aller Art für bis zu 12.000 Besucher. Es hat 80 Säle und Räume mit einem Fassungsvermögen zwischen 5.000 und 70 Teilnehmern auf 5 Ebenen, die teilweise zusammengelegt werden können, sowie ein Restaurant.

Die durchschnittliche Auslastung des ICC von 64 Prozent ist vergleichsweise gut. In der Spitze beträgt die Auslastung bei einigen Großveranstaltungen (IFA, ITB; Grüne Woche, Medizinische Fachkongresse) 95 Prozent, was belegt, dass seine große Kapazität zuweilen auch komplett ausgenutzt wird.

Das ICC ist inzwischen in die Jahre gekommen. Laut einem Gutachten von Gerkan, Mark und Partner (gmp) hat das 27 Jahre alte Gebäude einen Sanierungsbedarf von 144 Millionen Euro- davon 100 Millionen für die Erneuerung der Technik und 44 Millionen für die Gebäudesanierung.

Mit der Sanierung könnten die Kosten von rund 10 Millionen Euro für Instandhaltung und Energie auf knapp 8 Millionen Euro gesenkt werden. Würde zugleich eine flexiblere Raumnutzung realisiert, bestünde die Chance, das ICC nach Sanierung soeben kostendeckend zu betreiben. Derzeit macht das ICC mindestens 2 Millionen Euro Verlust pro Jahr.

Neubau eines Kongresszentrums
Die Messegeschäftsführung, die das ICC für das Land bewirtschaftet, will einen eigenen Neubau auf dem derzeitigen Gelände der Deutschlandhalle. Dadurch würde der neue der Südeingang der Messe zu Ende bebaut. Die Messe würde von den Kosten durch ICC und Deutschlandhalle entlastet.

Das neue Kongresszentrum mit 7000 Plätzen würde weniger als das ICC auf Großkongresse zielen und sich stärker dem weltweiten Trend zu mehr kleinen und mittleren Tagungen zwischen 200 und 800 Teilnehmern widmen. Für die ausgesprochen großen Veranstaltungen müsste die Messe zusätzlich eigene Messehallen zur Verfügung stellen – speziell die Halle 7 mit weiteren 3.500 Plätzen.

Laut Gerkan, Marg und Partner soll der Neubau für 43 Millionen Euro zu haben sein (Ob da die Kosten für den Abriss der Deutschlandhalle drin sind, ist mir nicht klar).Der Abriss des ICC wird mit 30 Millionen Euro beziffert. Für das geräumte Grundstück über und zwischen Messedamm und Stadtautobahn sollen 20 Millionen Euro erlöst werden können.

Die Messegesellschaft hofft darauf, dass sich ein privater Investor findet, der außer dem Kongresszentrum noch ein Hotel mit 500 bis 800 Betten errichtet, das gmp mit 40 bis 60 Millionen Euro Baukosten kalkulieren (Faktisch das Modell Estrel). Die Unterhaltskosten des neuen Kongresszentrums werden mit 6 Millionen Euro angegeben.

Bewertung
Die Haltung des Finanzsenators ist klar: Die Neubauvariante stellt – jedenfalls auf dem Papier - die geringste Haushaltsbelastung dar. Die Neubaukosten sind niedriger als die Sanierungskosten und können ggf. sogar privat aufgebracht werden. Die dauerhaften Unterhaltskosten sind pro Jahr beim Neubau 2 Millionen Euro niedriger.

Die Gegenposition zur Frage der dauerhaften Kosten lautet, dass 2 Millionen Euro in einem unscharfen Schätzbereich liegen und zudem finanziell nicht so erheblich sind, dass sie politisch entscheidend sein sollten.

Die Fragen zu den einmaligen Investitionskosten beginnen mit dem Bedenken, dass mit dem Kostenvergleich ein Architekturbüro (Olympiastadion, Tempodrom, Hauptbahnhof) beauftragt wurde, das einen Entwurf für das neue Kongresszentrum gleich mitgeliefert hat. Den nächsten Einwand bildet der begründete Verdacht, dass für die genannten 30 Millionen Euro bestenfalls der Abriss des „oberirdischen“ Teils des ICC zu haben ist, nicht aber der Abriss von Straßenüberbauung, Unterkellerung, und Gründung des Riesenraumschiffs. Diese Zusatzkosten dürften dann weit höher sein als die „oberirdischen“ 30 millionen euru

Schließlich ist die Nachnutzung des ungünstigen Geländes zwischen und über der Autobahn völlig offen. Die erwarteten 20 Millionen Euro für das Grundstück lösen sich ohne Nachnutzung aber in Rauch auf. (Finanzsenator Sarrazin hat gemeint, darauf käme es nicht an, der Vorteil sei auch so groß genug, mir dann auf die Schulter geklopft und gesagt, er werde mir und der Kollegin Hämmerling dort einen Eichenwald pflanzen.)

Fakt ist: Bislang haben die Befürworter in Senat und Messegeschäftsführung weder für den Neubau des Kongresszentrums noch für die Nutzung des ICC einen privaten Interessenten vorstellen können. Wenn sie den hätten, würden sie es tun, denn es brächte die Fronten zu ihren Gunsten in Bewegung.

Der ordnungs- und wirtschaftspolitische Einwand gegen den Neubau lautet, dass es nicht richtig ist, im Bereich der kleinen und mittleren Kongresse den Berliner Hotels, die in diesem Segment erheblich investiert und aufgerüstet haben, staatlich subventionierte Konkurrenz zu machen und eventuell auch noch Überkapazitäten zu schaffen.

Zugleich würde der Kongressstandort Berlin durch eine solche Politik Nachteile erleiden, denn ein kleineres Kongresszentrum mit ergänzender Messehalle ist für Großkongresse im Vergleich zum ICC nur eine Ersatzlösung. Immerhin ist das ICC schon heute für Veranstaltungen mit einer Millionen Teilnehmern bis 2014 gebucht.

Schließlich: Obwohl sich über Geschmack bekanntlich streiten lässt, handelt es sich beim ICC um eine Ikone des Bauens der 70er Jahre von weltweit anerkannter Qualität. Aus architektonischer Fachsicht gilt das ICC durchaus als denkmalswürdig. Allenfalls der Palast der Republik bildete in Berlin auf seine Art ein konkurrierendes Vergleichsprojekt.

Mein (persönliches) Fazit
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat sich in der letzten Legislaturperiode nach langen Diskussionen und in Abwägung aller Umstände für die Sanierung des ICC und gegen den Neubau entschieden (Ich selber tendierte ursprünglich eher zum Abriss).Dieser Beschluss ist Teil der Erbschaft, die man als neue Fraktion antritt, allein schon deshalb, weil mit dieser den Menschen bekannten Politik die Wahl bestritten und gewonnen wurde und nicht mit privaten Meinungen heutiger und damaliger Abgeordneter, die niemand am Wahltag kannte.

Auf Senatsseite sieht die Sache so aus: Für den Finanzsenator ist die Sache klar (s.o.). Harald Wolf macht eine Politik, die der Wirtschaft und der Messe jeden Wunsch erfüllt und war dementsprechend treibende Kraft für den Neubau. Die SPD Fraktion hatte eher Bedenken. Inzwischen scheinen die Bedenken zu obsiegen und eine Position pro ICC-Sanierung zeichnet sich ab. Eine Weile lang gab es bei der PDS zwar noch so eine Stimmung „Rache für den Abriss des Palasts der Republik“, im Großen und Ganzen ist der PDS-Fraktion die Sache aber letztlich egal, weil jenseits der „Demarkationslinie“. Ein Senatsbeschluss für die Sanierung des ICC wäre eine offene Niederlage für Sarrazin und Harald Wolf und der Beweis, dass letzterer bei der PDS nicht mehr sakrosankt ist.

In der Sache scheint mir – trotz aller Einwände, die man am Gutachten von gmp haben kann – die Neubaulösung finanziell attraktiver zu sein als die Sanierung. Die wirtschafts- und stadtpolitischen Vorteile der ICC Sanierung wiegen aber schwer.

Wenn ich die genannten allgemeinpolitischen und fallbezogenen Argumente zusammen nehme, komme ich zu dem Vorschlag, die Beschlusslage der Fraktion nicht zu verändern.

Einzig eine äußerst überzeugende Nachnutzung des ICC, bei der uns ein privater Investor den Abriss erspart und zugleich keinen großflächigen Handel dort betreibt, könnte mich wankend machen. Aus dem Hause des Finanzsenators wird immer wieder von einer solchen Lösung gemunkelt. Gesehen hat sie bislang keiner.

Nachwort: Gibt es eine Zukunft für die Deutschlandhalle?
Als Eissporthalle ohne Bundesligaverein macht sie keinen Sinn und häuft jährlich Defizite auf, die sich mit denen des ICC fast messen können. Auch die derzeitigen Nutzer wünschen sich den Neubau einer Trainingshalle an der Glockenturmstraße.

Als Multifunktionshalle darf die Deutschlandhalle derzeit nicht betrieben werden aus Rücksicht auf die ebenfalls landeseigenen Velomax-Hallen (Schmelinghalle, Velodrom), deren Gewinne Herr Gegenbauer einsteckt und deren Verluste vom Land Berlin zu tragen sind.

Inzwischen ist die Anschützhalle (O2Arena) im Bau. Die neue Halle, die etwas kleiner sein wird als die prototypische „Köln-Arena“, wird wie diese alles bieten, was von modernen Hallen heutzutage erwartet wird. Wenn sie in Betrieb geht, gerät das Land Berlin mit seinen drei zweitklassigen Hallen in eine höchst prekäre Situation.

Mit O2 Arena, Deutschlandhalle, Schmelinghalle und Velodrom entsteht ein Überangebot am Markt. In der Konkurrenz sind die landeseigenen Hallen eindeutig unterlegen. Wer die Deutschlandhalle dann dennoch erhalten will, muss einen Ausweg aus dem Dilemma weisen. Mir fehlt da jede Vorstellung. M.E. hat die Deutschlandhalle unter den gegebenen Umständen schlicht keine Zukunft.

Jochen Esser, 18.2.2007

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